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Adieu liberté

Wie mein Frankreich verschwand | Romy Straßenburg

E-Book (EPUB)
2019 Ullstein
Auflage: 1. Auflage
240 Seiten
ISBN: 978-3-8437-2015-1

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Kurztext / Annotation
Europa und vor allem Frankreich haben sich in den letzten Jahren durch politische Umwälzungen, drastische Ereignisse und gesellschaftliche Spannungen extrem verändert. Romy Straßenburg hat diese Zeit unmittelbar miterlebt. Sie berichtet von gesellschaftlichen Missständen und persönlichen Eindrücken, von Liebe und Politik, Kultur und Terror. Authentisch, lebendig und voller Selbstironie bringt sie das Lebensgefühl einer ganzen Generation von Franzosen, Deutschen - von Europäern - auf den Punkt. »Bei Romy Straßenburg ist man mittendrin im Paris von heute in seiner ganzen Schönheit und Schrecklichkeit.« Iris Radisch »Hier meldet sich eine kluge junge Stimme und erzählt von Frankreich und ihrer Generation, der die Gewissheiten abhanden gekommen sind.« Jakob Augstein

Romy Straßenburg, Jahrgang 1983, stammt aus Berlin. Sie studierte Französisch, Geschichte und Soziologie, bevor sie mit 24 nach Frankreich zog. Seitdem berichtet sie für zahlreiche deutsche und deutsch-französische Medien sowohl vor, als auch hinter der Kamera. 2008 gewann sie den Deutsch Französischen Journalistenpreis und war 2016 für den Grimme-Preis nominiert. Sie war als Chefredakteurin der deutschen Charlie-Hebdo- Ausgabe tätig und ist Dozentin an einer Pariser Journalistenschule. In ihrer Arbeit steht der gesellschaftliche Wandel Frankreichs, insbesondere die Folgen für Menschen ihrer Generation, im Mittelpunkt.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

I.
Die Letzte

Wie wir in Paris den Mauerfall feierten und meine Freunde sich als unfassbar klischeehaft herausstellten. Wie Léa zur Schnapsleiche des Abends wurde und warum wir in den Genuss von Polizeischutz kamen.

Orgastisches Stöhnen. Ich glaube, sie kommt!

»Je t'aime, oh ouiii, je t'aime ...« Der letzte Song. Der Rausschmeißer! Ein Seufzer von Serge Gainsbourg.

Wie könnte ich einer Party in Paris stilvoller ein Ende setzen? Ich will doch bloß die letzten Widerständler aus meiner Wohnung werfen. Diese trotzigen Franzosen, die selbst im desolatesten Zustand nicht schnallen, dass wir den Höhepunkt dieser Party längst hinter uns gelassen haben. Allez, Serge, bring meinetwegen Jane Birkin mit deinem Chanson noch mal zum Höhepunkt, aber dann ist echt fini!

Zu meiner Erleichterung ist gerade von einer anderen Soiree nebenan die Rede. Mit Spirituosenvorräten und extrem toleranten Nachbarn. Das löst zum Glück eine kollektive Aufbruchsstimmung aus. Für meinen Geschmack haben wir den Fall der Berliner Mauer absolut zur Genüge gefeiert!

Ja, diese Party hatte ein Motto. Das gebe ich schamlos zu, selbst wenn es bei meinen Berliner Hipster-Freunden Gelächter hervorruft. Wann genau diese grässliche Mode begann, jeder Party in Paris ein Thema zu verpassen, kann ich nicht sagen. Ich finde, das hat sich die Stadt selbst zuzuschreiben. In Clubs musst du für ein Bier acht Euro hinblättern. Man kann sich nicht mal besaufen, wenn die Musik scheiße ist. Zum Rauchen wirst du in ein verdrecktes Loch ohne Luftzirkulation gesteckt, in dem man sich selbst ohne Zigarette umgehend Lungenkrebs einfängt. Um zwei Uhr nachts wird erbarmungslos das Licht angeschaltet. Meine Berliner Freunde wähnen sich in einem Albtraum, meine französischen fragen seit zehn Jahren: Wieso kehrst du der coolsten Stadt des Universums den Rücken zu und tust dir Paris an?

Solche privaten Themenabende in meiner Wahlheimat wecken häufig Erinnerungen an Kindergeburtstage. Als würden wir Topfschlagen oder Reise nach Jerusalem spielen. Dabei erstaunt die detailversessene Kreativität, mit der manch Gastgeber zu Werke geht. Als ich eines Abends unvorhergesehen auf einer »König-der-Löwen-Party« landete, lagen am Eingang Papiermasken von wilden Tieren aus, die man bemalen und zuschneiden musste. Das ist ab einem gewissen Alkoholpegel kein Kinderspiel mehr. Es gab Theaterschminke, Blätter und Zweige schmückten die Wände und wurden dir ins Haar gesteckt. Die selbst gemixten Drinks trugen Namen wie »Hakuna Matata« oder »Mufasa-Mule«.

Das Großartige an meinem Partymotto ist der Erfolg auf französischer und deutscher Seite. Die einen finden den Mauerfall und die DDR très chic und authentique. Bei den anderen schwingt Heimatduselei mit. Das ergibt eine nette Mischung. Die Franzmänner stellen sich die DDR so vor wie in Good Bye, Lenin!, die Landsmänner diskutieren wahlweise über das innerdeutsche Zusammenwachsen oder Auseinanderdriften. Sie tauschen sich über regionale Spezialitäten aus und lachen über das ein oder andere Dialektspezifische oder darüber, dass die meisten Ossi-Witze eins zu eins als Wessi-Witze existieren. Für die Deko der DDR-Sause reichen ein paar verblasste Fotos von FFK-Stränden, Trabbis und ein Honecker-Konterfei an der Wand. Der hatte ein drolliges Lächeln, für den Diktatorlook fehlte ihm eindeutig das Diabolische im Blick. Vielleicht hat ihm das mal jemand geraten: stets semi-debil lächeln! Was meine Musikauswahl angeht, liegen die Puhdys und Nina Hagen weit vorn, nicht zu vergessen die Schullieder aus Zeiten des Klassenkampfes à la »Der kleine Trompeter« oder ganz klassisch »Die Internationale«. Ein weißes Hemd und ein Halstuch in Blau oder Rot sorgen für den originalen Pionierstil. Die ganz Professionellen schlagen mit einer Schapka aus Sowjetzeiten auf, Hauptsache, es sieht nach Volksarmee und Kommunismus aus