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Wir werden jung seinOverlay E-Book Reader

Wir werden jung sein

Roman | Maxim Leo

E-Book (EPUB)
2024 Verlag Kiepenheuer & Witsch Gmbh
Auflage: 1. Auflage
304 Seiten
ISBN: 978-3-462-31069-6

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€ 19,99

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Kurztext / Annotation
Ihr Leben gera?t aus den Fugen, als die Teilnehmer einer Medikamentenstudie an der Berliner Charite? plo?tzlich ju?nger werden. Jakob ist gerade seiner ersten Liebe begegnet und verliert auf einmal jegliche Lust. Jenny wünscht sich seit vielen Jahren vergeblich ein Kind und wird plötzlich schwanger. Wenger, ein schwerkranker Immobilienpatriarch, verabschiedet sich mit einem rauschenden Fest von der Welt, um kurz darauf - zur Verzweiflung seiner Erben - wieder aufzublühen. Und Verena, die zweifache Olympiasiegerin über 100 Meter Freistil, hat ihre Profizeit längst hinter sich, als sie bei einem Schaukampf der Ex-Stars überraschend neue Rekorde aufstellt. Als die Öffentlichkeit von ihrer Verjüngung erfährt, überschlagen sich die Ereignisse. Ein ungeheuer hellsichtiger Roman, der seinen Protagonisten voller Witz und Wärme durch das verrückteste Jahr ihres Lebens folgt. Und der wie nebenbei die großen ethischen und gesellschaftlichen Fragen stellt, die sich ergeben, wenn die weltweit auf Hochtouren laufende Forschung zur biologischen Verjüngung des Menschen Erfolg hat.

Maxim Leo, 1970 in Ostberlin geboren, ist gelernter Chemielaborant, studierte Politikwissenschaften, wurde Journalist. Heute schreibt er gemeinsam mit Jochen Gutsch Bestseller über sprechende Männer und Alterspubertierende, außerdem Drehbücher für den »Tatort«. 2006 erhielt er den Theodor-Wolff-Preis. Für sein autobiografisches Buch »Haltet euer Herz bereit« wurde er 2011 mit dem Europäischen Buchpreis ausgezeichnet. 2014 erschien sein Krimi »Waidmannstod«, 2015 »Auentod«. 2019 erschien sein autobiografisches Buch »Wo wir zu Hause sind«, das zum Bestseller wurde. Maxim Leo lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Berlin.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Inhaltsverzeichnis WENGER

In der Nacht war er aufgewacht, wie immer gegen 4.30 Uhr. Sofort waren die Gedanken da, die in der Dunkelheit so teuflisch wuchsen, die ihn wie Efeu umrankten, ihm die Brust zuschnürten. Und immer wieder diese verfluchten Bilder, das braune Fläschchen im obersten Fach des Panzerschranks, die behaarten Hände des Pfarrers, das leise Wimmern der Mutter, der Umschlag mit dem roten Wachssiegel, der Blick von oben auf das Bett, in dem er sich mit Krämpfen wälzte, Mathildes Tränen, das gleißende Nichts, das ihn verschlang. Es waren immer dieselben Bilder, die zu Staub zerfielen, sobald das erste Tageslicht durch das Fensterglas kroch. Weil böse Gedanken, ähnlich wie Vampire, nur in der Finsternis mächtig sind.

Das Gespräch mit Professor Mosländer war anders verlaufen, als Wenger es sich vorgestellt hatte. Weniger dramatisch, sehr gefasst. Mosländer hatte ihm erklärt, dass nun auch die rechte Herzseite geschwächt sei, dass die Atemnot zunehmen werde, auch die Schmerzen in den Beinen. Ein Schrittmacher könne da nicht mehr helfen, für eine Transplantation sei er zu alt. Besorgniserregend waren auch seine Nieren- und Leberwerte. Das neue Medikament, das ja wohl seine letzte Hoffnung war, schien nicht anzuschlagen. »Wie lange noch?«, hatte er gefragt. »Vielleicht zwei Monate, vielleicht zwei Jahre«, hatte Professor Mosländer gesagt.

Das war jetzt sechs Wochen her. Er hatte nur Mathilde davon erzählt, die komplett zusammengeklappt war, obwohl er die Lage wesentlich positiver beschrieben hatte als Mosländer. Na gut, sie kannte ihn und wusste, dass er in solchen Dingen immer untertrieb. Außerdem hatte sie dann selbst mit Mosländer gesprochen, der nichts gesagt, aber dafür wohl recht traurig geguckt hatte. Jedenfalls war ihm da klar geworden, dass er das alles erst mal für sich klären musste, bevor er anderen davon erzählte.

Aber wie soll man Dinge klären, die man selbst kaum begreifen kann? Er war es nicht gewohnt, dass es Probleme gab, die er nicht lösen konnte. Dass es einen Willen gab, der stärker als seiner war. Es hatte ihn immer wütend gemacht, wenn Leute vom Schicksal sprachen, weil ihm das so mutlos und unengagiert erschienen war. Eine bequeme Ausrede von irgendwelchen Sesselfurzern, die nicht bereit waren, Verantwortung zu übernehmen. Was sollte denn das sein, dieses Schicksal? Irgendein göttlicher Plan vielleicht? Er war überzeugt, dass nur die Dummen und die Faulen vom Schicksal überrascht wurden, alle anderen bestimmten ihr Leben selbst.

Das ging ein paar Wochen so, dieser Kampf mit sich selbst und mit der Einsicht, dass all seine Stärke und Entschiedenheit ihm nichts nutzten angesichts des Unvermeidlichen. Nicht unwichtig war vermutlich ein Telefongespräch mit Professor Mosländer, der ihm eine Pflegerin vermitteln wollte. »Sie brauchen Hilfe«, hatte Mosländer gesagt, »schon bald werden Sie sich nicht mehr alleine anziehen können, in spätestens einem halben Jahr wird es Ihnen schwerfallen, ohne Hilfe das Bett zu verlassen.«

Da war für ihn die Entscheidung gefallen.

Die Fragen, die dann kamen, erschienen ihm schon wieder vertrauter, weil sie praktisch und lösbar waren. Wo bekam man das Natrium-Pentobarbital her, dieses Zeug, das sie in der Schweiz in den Sterbehäusern verwendeten? War es angeraten, dazu noch Metoclopramid zu schlucken, um den Brechreiz auszuschalten? Könnte Professor Mosländer ihm das Gift auch intravenös verabreichen? Oder zumindest einen Zugang legen? Wenn das alles organisiert wäre, so dachte Wenger, dann würde es ihm besser gehen, weil er sein Schicksal wieder selbst in der Hand hätte. Nun ja, das war nur einer von mehreren Irrtümern gewesen.

Er drehte sich zur Seite, ließ die Beine über die Bettkante gleiten, spürte den weichen Teppich unter den Füßen. Nach ein paar Minuten stemmte er sich hoch, blickte aus dem Fenster zum Ahorn hinüber, der wie ein knorrig