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Der französische GastOverlay E-Book Reader

Der französische Gast

Dorothy Whipple

E-Book (EPUB)
2021 Kein & Aber
Auflage: 1. Auflage
448 Seiten
ISBN: 978-3-0369-9462-8

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€ 14,99

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Kurztext / Annotation
Seit zwanzig Jahren ist Ellen North glücklich verheiratet mit ihrem Mann Avery, sie haben zwei Kinder und leben in der idyllischen Peripherie Londons. Doch dann tritt Louise in ihr Leben, eine junge Französin, die eingestellt wurde, um der ungeliebten Schwiegermutter Gesellschaft zu leisten. Mit frisch gekränktem Stolz, weil sie kurz zuvor von ihrem Freund verlassen wurde, und einer gehörigen Portion Je ne sais quoi fängt Louise an, sich bei der Schwiegermutter unverzichtbar zu machen und nebenbei Avery zu umgarnen. Mit Erfolg. Die alte Welt, wie Ellen sie kannte, ist bedroht: Wie kann sie sie selbst bleiben und sich trotzdem neu erfinden?

Dorothy Whipple (1893-1966) war eine britische Bestsellerautorin von Romanen, Kurzgeschichten und Kinderbüchern. Während sie sich in den 1930ern größter Beliebtheit erfreute, gerieten ihre Werke nach dem Krieg in Vergessenheit. Die britischen Neuausgaben einiger ihrer Romane in den letzten Jahren trugen in ihrer Heimat wesentlich zu ihrer Wiederentdeckung bei. Der französische Gast (1953) war ihr letzter Roman und ist das erste Buch von ihr, das ins Deutsche übersetzt wurde.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

ZWEI
 

Als der Postbote am frühen Morgen auf seiner Runde in der Rue des Carmes anlangte, hielt er vor der »Librairie-Papeterie Lanier, Spécialiste du Stylo« an und warf mehrere Briefe durch den Schlitz in der Tür.

Madame Lanier, in Morgenmantel und Filzpantoffeln, eine Schürze um die üppige Mitte gebunden, kam durch den Flur an der Treppe geschlurft, durchquerte den Laden, dessen Auslagen noch abgeschlossen waren, und hob die Briefe vom Steinboden auf. Während sie langsam durch den Laden zurückging, inspizierte sie die Umschläge. Ihre Tochter kam gerade die Treppe herunter.

»Sind die Briefe für mich?«, fragte sie mit schneidender Stimme.

Madame Lanier, beim Schnüffeln erwischt, zuckte schuldbewusst zusammen. »Ja, ich glaube, die sind alle für dich. Ja, sind sie.«

»Dann gib sie mir bitte«, sagte Louise und streckte gebieterisch die Hand aus.

Madame Lanier lieferte sie ab, und Louise stieg wieder nach oben. Ihre Mutter ging in die Küche und trug einen Krug Café-au-lait ins Esszimmer, wo Monsieur Lanier bereits am Tisch saß.

»Was war denn?«, sagte er und goss sich Kaffee in seine Schale.

»Die Post. Es war alles für sie«, antwortete Madame Lanier. Sie schenkte sich selbst Kaffee ein, schlug die schlaffe, große Serviette auf und schob einen Zipfel zwischen die beiden oberen Knöpfe ihres Morgenmantels. Ihr Ehemann hatte seine bereits um den Hals gebunden.

Einen kurzen Moment waren beide damit beschäftigt, Brotrinde zu zerreißen und in ihren Kaffee zu werfen, wo sie wie Enten in einem Teich dümpelten. Dann griffen sie nach ihren großen grauen Löffeln und aßen mit einem Appetit, den nicht einmal das unzulängliche Benehmen ihres einzigen Kindes schmälern konnte.

»Ich verstehe nicht, warum sie noch einmal nach London fahren will«, sagte Madame Lanier. »Die drei Monate, die sie in Foxton war, genügen doch. Wenn Amerikaner in den Laden kommen, loben die immer ihr Englisch.«

Monsieur Lanier tat es mit einem Achselzucken ab. »Sie ist siebenundzwanzig«, sagte er. »Es wird Zeit, dass sie heiratet. Sie wartet zu lange damit.«

»Aber was sollen wir machen, wenn sie niemanden findet? Die Zeiten sind vorbei, in denen Kinder geheiratet haben, wen ihre Eltern für sie aussuchten. Was schade ist, weil damit oft Kummer erspart blieb und es weiß Gott meist erfolgreicher war, als wenn sie sich selbst jemanden ausgesucht haben«, sagte Madame Lanier, drückte sich den Laib an die Brust und schnitt mit einem scharfen Messer zwei weitere Scheiben Brot ab.

»Vergiss aber nicht, dass unsere Tochter sehr intelligent ist«, sagte der Vater auf seine präzise Weise. »Die bisherigen Bewerber waren doch ein wenig unter ihrem Niveau.«

»Waren sie, ja.« Madame Lanier räumte es mit Freuden ein. »Und obwohl nicht einmal ich behaupten kann, dass sie schön ist, hat sie etwas. Sie hat Stil, sie sticht heraus.«

»Psst«, sagte ihr Ehemann. »Sie kommt. Guten Morgen, Louise.«

»Guten Morgen, Papa«, sagte Louise mit Zurückhaltung, aber sie merkten dennoch, dass sie heute bessere Laune hatte, und ihre Mienen hellten sich auf.

»Einen kleinen Moment, mein Liebling«, sagte Madame Lanier und erhob sich vom Tisch. »Ich bringe dir deinen Kaffee.«

Louise, die mit den Fingern auf die Briefe trommelte und mit leerem Blick vor sich hinstierte, ließ es zu. Ihr Gesicht war glatt wie Elfenbein und von ebensolcher Farbe. Ihre dunklen Augen verliefen an den Außenwinkeln ein wenig nach oben. Ihr glänzendes dunkles Haar war in der Mitte gescheitelt und in ihrem schmalen Nacken zu einem Knoten zusammengebunden. Ihre Lippen hatte sie schon zum Frühstück purpurrot geschminkt, was ihr allerdings gut stand und zum Lack auf den Nägeln der schmalen Hände passte.

Sie setzte sich in das Hinterzimmer, wo die Gerüche zahlloser guter Abendessen noch in den dunklen Ecken waberten, wo der hellbraune Porzellanherd den Sommer