Buchhandlung Spazierer

Suche

Ein paar Leben späterOverlay E-Book Reader

Ein paar Leben später

Roman | Robert Palfrader

E-Book (EPUB)
2023 Verlag Carl Ueberreuter
Auflage: 1. Auflage
160 Seiten; ab 16 Jahre
ISBN: 978-3-8000-8235-3

Rezension verfassen

€ 16,99

in den Warenkorb
Kurztext / Annotation
»Man erbt neben seinem Genmaterial ja auch das Echo mehrerer Leben. Und das kann, je nach Schicksal oder Zufall, viel oder wenig, gut oder schlecht sein. In jedem Fall kann es also das eigene Leben erheblich erleichtern oder belasten - ohne dass man die Menschen, denen man das zu verdanken hat, jemals persönlich getroffen hat und man oft wenig bis gar nichts über sie weiß. Ich habe das Glück, sehr viel über die Familie meines Vaters zu wissen. Ich weiß, warum meinem Vater fünf verschiedene Staatsbürgerschaften oktroyiert wurden, obwohl er nur in Südtirol, Niederösterreich und Wien gelebt hat. Entscheidungen, auf die er keinerlei Einfluss hatte, haben für ihn einen Weg vorgezeichnet, der letztlich auch meinen Weg mitbestimmt hat. Das ist die Geschichte der Familie meines Vaters und welche Umstände dazu geführt haben, dass ihre Nachkommen auch in Wien zu finden sind.« (Robert Palfrader)

Durchbruch im ORF mit dem Comedy Format echt fett, danach UNDERCOVER (2005), BÖsterreich (2014), 2007 als Robert Heinrich I. in der Satire-Talk-Show WIR SIND KAISER. Gemeinsam mit Florian Scheuba und Thomas Maurer TV-Satire und Kabarettprogramm WIR STAATSKÜNSTLER. Preisgekrönte Zusammenarbeit mit Regisseur David Schalko in BRAUNSCHLAG und ALTES GELD, weitere TV-Filme und Serien u.a. DER METZGER, TATORT,WALKING ON SUNSHINE. 2008 erstes Kabarettprogramm mit Florian Scheuba MÄNNER FÜRS GROBE, 2015 zweites gemeinsames Programm FLÜGEL, 2018 erstes Solo-Programm ALLEIN.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Urgroßmutter Angela Craffonara

geb. Trebo, vulgo Angela dal Tabac

Angela kam im Juli 1882 als jüngstes von fünf Geschwistern auf die Welt. Ein Sommer, den sie lange nicht vergessen haben, in St. Vigil. Drei Wochen hatte es durchgeregnet. Die Wiesen wurden überschwemmt und der Bach, der damals noch durch die Ortschaft floss und noch nicht reguliert war, riss die Heuernte mit sich. Das Wasser aus den Brunnen konnte man auch nicht mehr trinken, ohne es vorher abzukochen.

Auch das Geburtshaus der Angela hatte damals großen Schaden genommen. Die Ciasa dal Tabac. Auf Deutsch: das Tabakhaus. Es heißt immer noch so. Obwohl es dort schon eine halbe Ewigkeit keinen Tabak mehr zu kaufen gibt.

Das Haus liegt gleich neben der Kirche von St. Vigil. Das einzige Haus neben der Kirche, wohlgemerkt. Und an dessen Stelle stand angeblich schon ein Haus, bevor es dort überhaupt eine Kirche gegeben hat.

Zur Zeit der Geburt von Angela ein Bauernhaus. Wahrscheinlich das kleinste von St. Vigil. Kaum zum Ernähren einer Familie geeignet. Ein winziger Gemüsegarten hinter dem Haus, gerade mal ein paar Quadratmeter groß und eine kleine Futterwiese, die so wenig Heu abwarf, dass man maximal eine Kuh und eine Ziege durch den Winter bringen konnte.

Viel mehr hätte auch nicht in den Stall gepasst, der ein Teil des Hauses war. Wand an Wand mit dem Vieh hat man gelebt, mit entsprechender Geruchsbegleitung. Aber das störte niemanden, der dort wohnte. Man kannte es ja nicht anders.

Wie der Name verrät, wurde im Haus mit Tabak gehandelt. Geschäftsräumlichkeiten gab es nicht, nur ein kleines, lieblos gezimmertes Kästchen, das gleich neben der Eingangstür hing. Das war's. Aber immerhin konnte man dort Pfeifen-, Kau- und Schnupftabak erwerben. Tabak niedriger Qualität selbstverständlich. Den feinen, teuren Tabak, wie er in Bruneck verkauft wurde, hätte sich auch niemand leisten können oder wollen. Oft klopfte es noch spät in der Nacht, wenn einer im Vollrausch seinen Tabakbeutel verloren hatte.

Was für andere ein Zusatzeinkommen bedeutet hätte, von dem man sich die eine oder andere Extravaganz leisten konnte, war für die Familie von Angela überlebensnotwendig. Jeder Kreuzer, der mit Tabak verdient wurde, half, die Mägen zu füllen.

Vor allem die Winter stellten die Familie jedes Jahr vor eine Herausforderung. Denn dann musste man sich eine Kuh vom Nachbarn ausborgen, sonst wäre es im Stall zu kalt geworden. Eine Kuh allein hätte nie genug Körperwärme erzeugen können, um den Stall auf erträglicher Temperatur zu halten, wäre erfroren. Die Ziege gleich mit, ohne eine Gastkuh. Als Gegenleistung musste die geborgte Kuh gemolken und die Milch an den Besitzer abgeliefert werden.

Im Keller war eine Werkstatt eingerichtet, in der Angelas Vater Schlitten reparierte und auf Bestellung auch baute. Es waren die großen Heuschlitten, mit denen man im Winter Heu von den hoch gelegenen Wiesen herunterbrachte.

Das Heu wurde nach der Mahd in kleinen luftdurchlässigen Hütten, die direkt auf der Wiese standen, zwischengelagert, bis der Schnee ermöglichte, das Heu ohne größeren Aufwand in die unten gelegenen Höfe zu bringen. Eine nicht ganz ungefährliche Arbeit. Jedes Jahr gab es Verletzte, manchmal Tote zu beklagen. Denn so ein eingeschneiter großer Stein war leicht zu übersehen, der Schlitten schwer zu steuern und kaum zu bremsen. Da gab es eine Menge zu reparieren nach einem Winter.

"Vor dem Oktober brauch ich den Schlitten nicht, Tabac", sagten die einen.

"Lass dir nur Zeit. Bezahlen tu ich, wenn ich ihn hol!", die anderen. Und wieder: eine Nebeneinkunft, die nicht viel einbrachte.

Mit ihrem ältesten Bruder, Paul, hat die Angela nur ein paar Jahre verbracht. Er war um fast neun Jahre älter als sie und hat, sobald es ihm möglich war, das Haus verlassen. Offenbar war ihm klar, dass hier nichts zu holen sein würde, er besser dran wäre, würde er