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Die Vermesserin der WorteOverlay E-Book Reader

Die Vermesserin der Worte

Roman | Ein gefühlvoller und warmherziger Roman über die Bedeutung von Worten, Geschichten und das Vergessen | Katharina Seck

E-Book (EPUB)
2024 Harpercollins
Auflage: 1.1
256 Seiten
ISBN: 978-3-7499-0666-6

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Kurztext / Annotation

Wenn die Liebe zu Geschichten ein Licht im Dunkeln ist

Ida ist eine Autorin ohne Worte. Ihr Kopf ist so leer wie die weißen Blätter Papier auf ihrem Schreibtisch. Aus der Not heraus nimmt sie einen Haushaltsjob an und lebt fortan bei der älteren Dame Ottilie, die ungern spricht und mit jedem Tag ohne Worte und Silben ein wenig mehr zu verblassen scheint. In dem heruntergekommenen Herrenhaus findet Ida bald unter dicken Schichten aus Staub, Moder und Vergangenheit unzählige Schätze aus Papier und Erinnerungen; Erinnerungen eines Lebens in Glanz, der nach und nach abblättert. Bald erkennt Ida, dass Ottilies Faden zur Gegenwart zu reißen droht - und Ida Worte finden muss, um Ottilies Verblassen zu verhindern. Im Schein des Kaminfeuers beginnt Ida eine Geschichte zu erzählen, die nicht nur Ottilies alte Wunden zu heilen vermag, sondern auch Ida eine Antwort auf ihre drängendste Frage liefert - jene nach dem Gewicht der Worte.



Katharina Seck wurde 1987 in Hachenburg geboren und wuchs in dieser mittelalterlichen, von einem Schloss gekrönten Kleinstadt im Westerwald auf, wo sie noch heute lebt und als Autorin arbeitet. In ihrer Freizeit beschäftigt sie sich mit ihren liebsten Menschen und Tieren, Kunst sowie politischem Aktivismus. Mehr Infos zur Autorin finden sich auf katharinaseck.de

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Eine Annonce und ihr ganz eigener Duft

Die Leere in ihrem Kopf und die in ihrem Kühlschrank bewegten sich seit Wochen in etwa auf demselben Niveau. Eigentlich musste Ida dringend einkaufen und zumindest Letzteren auffüllen. Doch es gab da noch eine dritte Sache auf ihrer Liste schwindender Dinge: ihr Konto.

Ida war mit ihren gerade mal neunundzwanzig Jahren nicht sonderlich wohlhabend, im Gegenteil. Sie begnügte sich mit einer winzigen Einzimmerwohnung in einem grauen, aus der Zeit gefallenen Wohnkomplex mit fast einhundert Parteien, die sich untereinander nicht kannten und auch nicht kennen wollten. Aber obwohl um sie herum nur Plattenbauten, leere Innenhöfe mit Wäschespinnen, heruntergekommene Kinderspielgeräte und von Unkraut überzogene Gehwegplatten dem Zahn der Zeit trotzten, fühlte sie sich in ihrem überschaubaren Reich wohl. Lange war es ausreichend genug gewesen, um sie und die Worte, die sie mit sich herumtrug, zu beherbergen. Ida hatte jede Ecke ihrer vier Wände mit Büchern zugepflastert: Sie stapelten sich in dem einzigen Regal, auf dem runden Couchtisch voller Astmaserungen, neben dem selten genutzten Fernseher und unter einem hohen Drachenbaum. Ein paar lagen auf dem weichen senfgelben Zweisitzer, doch die allermeisten - nämlich die ungelesenen, unangetasteten - ruhten wie stille Gefährten auf der Bettkante und warteten darauf, zerblättert, zerlesen und zerträumt zu werden.

Überhaupt war in den letzten Jahren vor der schicksalhaften Silvesternacht alles erträglich gewesen, solange sie nur in ihre Fantasie und das, was sie niederschrieb, eingehüllt war: Es war aushaltbar gewesen, dass es manchmal Monate gegeben hatte, in denen sie weniger aß, weil ein Buchhonorar auf sich warten ließ, oder dass die Nachbarschaft über ihr jede Nacht zeterte und sich stritt. Dann machte sie einfach die Nacht zum Tag und setzte sich mit Kopfhörern und ihrem Notizbuch auf das gepolsterte, mit einer schmalen Metalllampe ausgestattete Sitzfenster; der einzige Luxus, den ihre Baracke, wie sie ihre Wohnung liebevoll nannte, zu bieten hatte. Sie schrieb vor, was sich mit der Hand besser auf Papier zaubern ließ als mit mechanisch klappernden Tasten, und wenn sie ehrlich war, klang jedes geschriebene Wort in der Dunkelheit ein bisschen schöner, ein bisschen anmutiger, ein bisschen heldenhafter als im grellen Licht des Tages.

Die Nacht und die Kunst, ein gemeinsames Hoch, ein reißender Abgrund, sobald der Morgen graute.

Doch mittlerweile beschäftigte Ida sich mehr mit Zahlen als mit Worten, denn bereits zur Mitte des Monats ging ihr Kontostand bedenklich zur Neige - ein Problem, das sie nicht weiter stur ignorieren konnte. Nein, es rief lautstark nach Beachtung. Sie jonglierte Rechnungen, setzte Prioritäten, überlegte, worauf sie am ehesten verzichten konnte, während jeder Tag ein wenig mehr Druck auf ihren schmalen Schultern hinterließ.

Ein Läuten riss sie aus der Starre, in der Ida auf dem alten Teppich vor dem Couchtisch gekauert und zwei Mahnungen betrachtet hatte, die schon vor vier Wochen, also Ende März, eingetrudelt waren. Ihr Blick glitt unweigerlich zu der immer ein bisschen zu laut tickenden Wanduhr - ein Erbstück irgendeines Familienmitglieds, das seinen Krempel aussortiert hatte.

Ida rappelte sich vom Boden auf. Elf Uhr. Nein, falsch. Vier Minuten nach elf. Normalerweise war Theobald bekannt für seine Pünktlichkeit. Seine Route war exakt so kalkuliert, dass er immer um elf Uhr eines jeden Morgens in der Rosa-Luxemburg-Straße 236b klingelte. Es war ein seltsames Ritual, das sie beide sich da in den letzten drei Jahren angeeignet hatten, musste Ida zugeben, als sie zur Tür huschte. Es hatte sich über die Monate eingeschlichen und war eine Art Zweckgemeinschaft zur gegenseitigen Gesellschaft in Zeiten der Einsamkeit, denn traurigerweise war es heute kein angesehener Beruf mehr, Post auszutragen. Früher hatte man das E