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Hannah Arendt und Heinrich BlücherOverlay E-Book Reader

Hannah Arendt und Heinrich Blücher

Die Möglichkeiten des verstehenden Herzen | Barbara von Bechtolsheim

E-Book (EPUB)
2023 Insel Verlag
Auflage: 1. Auflage
311 Seiten
ISBN: 978-3-458-77642-0

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Kurztext / Annotation

1936 lernen sich Hannah Arendt und Heinrich Blücher im Exil in Paris kennen. Vier Jahre später heiraten sie und finden aneinander eine geistige und menschliche Heimat.

Unterschiedlicher kann ein Ehepaar wohl kaum sein: Arendt aus bildungsbürgerlich-jüdischem Elternhaus, Studentin bei Martin Heidegger und Karl Jaspers, schließlich streitbare Denkerin, die bis heute Kontroversen auslöst. Blücher hingegen aus proletarischen Verhältnissen, der als Professor der Philosophie bei Studenten und Kreativen einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Miteinander waren sie fast unzertrennlich, über dreißig Jahre lang haben sie sich Anregungen gegeben, gestritten, einander vertraut und Freundschaften mit Künstlern, Literaten und Philosophen gepflegt. Ihre Erfahrungen als Flüchtlinge und Immigranten blieben für das politische Denken und Handeln des Ehepaars Arendt-Blücher bestimmend.

Neben Briefen und Schriften des Paares bezieht Barbara von Bechtolsheim in dieser reich bebilderten Doppelbiografie Gespräche mit Zeitzeugen sowie die Vorlesungen Blüchers ein und vermittelt damit einen Eindruck von der philosophischen Werkstatt inmitten des prickelnden New York der Nachkriegsjahre bis hin zu Arendts Berichterstattung über den Eichmann-Prozess.



Barbara von Bechtolsheim studierte Literaturwissenschaft, Philosophie und Psychologie in München und Stanford. Sie hat Lehraufträge in Literatur- und Kulturwissenschaft an diversen Hochschulen und forscht über die Kreativität von Paaren. Als literarische Übersetzerin vermittelt sie vielseitig zwischen der amerikanischen und der deutschen Kultur.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Kapitel 1

Auftakt - »Zwischen zwei Menschen entsteht manchmal, wie selten, eine Welt.«

»Liebste, ich bitte Dich: kauf' Dir den Pelz. Liebe Freundin, ich rate Dir dringend, Dir diesen Pelz zu kaufen. Liebe Frau, kaufe sofort einen Pelz ...« Wenige Zeilen später wendet sich dieser Rat zum Erwerb eines winterlichen Luxusartikels assoziativ: »Eins ist sicher: in der kalten Jahreszeit kann ich Dir keine Reise mehr gestatten, denn es ist das Recht des Mannes, sich an seiner Frau zu wärmen - so sprach Jehova wahrscheinlich zu Adam.«1 Schade, dass eine solche Briefstelle nicht im Briefwechsel veröffentlicht wurde, vielleicht zu privat oder nicht der Intellektualität entsprechend, für die dieses Paar bekannt ist. Begeisterung und Sinnlichkeit kennzeichnen diese furiose Korrespondenz - immer im Wechsel mit den intellektuellen Fäden, die sie enthält.

Heinrich Blücher wirbt hier galant um die gut aussehende, gebildete und faszinierende Hannah Arendt, und er sieht in ihr schon jetzt die Grande Dame, die nicht nur gern gehört, sondern auch gern gesehen wird.

Zu Anfang besucht er sie in ihrer beengten Unterkunft in der Emigrantenmetropole Paris. Hannah Arendt hat eine besondere Ausstrahlung: Auf den Fotos der frühen Jahre sehen wir ihre ebenmäßigen Gesichtszüge, das schwarze Haar gescheitelt und zurückgebunden, ein ruhiger, konzentrierter, immer nachdenklicher Blick. Sie legt Wert auf damenhafte Kleidung. Wie ihr seit Jugendjahren bewusst ist, sieht sie jüdisch aus, und dies verleiht ihr einen gewissen Zauber. Nie sieht man sie ohne ihre Zigarette, die ihr bei allem akademischen Ernst etwas Bohèmehaftes gibt. Seit ihren Jungmädchenjahren versammelt sie die Intellektuellen um sich und steht im Mittelpunkt philosophischer Debatten. Sie setzt durchaus ihre weiblichen Reize ein, um bestimmte Gesprächspartner für sich einzunehmen.

Einer Anekdote zufolge lädt sie anfangs zum Abendessen auch ihren Hebräisch- und Jiddischlehrer Chanan Klenbort ein, um mit »Monsieur« nicht allein zu sein. Aber diese Vorsichtsmaßnahmen währen nicht lang. Sie finden aneinander eine geistig-sinnliche Faszination, die sich für die Nachwelt in den Briefen sowie in ihren Schriften erhalten hat. Er flaniert unter dem Namen Heinrich Larsen, seinem Deckdamen bei der KPD, durch die Passagen von Paris. Er hat keine Ausweispapiere bei sich und verheimlicht seine kommunistische Vergangenheit. Er trägt Anzug, Hut und Spazierstock, raucht Pfeife und später Zigarren und gibt sich dandyhaft. Seinen richtigen Namen übersetzt er ins Französische: Seine Postkarten an Hannah weisen als Absender Henri Blucher auf. Seiner selbstironisch gewählten Berufsbezeichnung »Drahtzieher« macht er alle Ehre. Konspiration und Gefahr in seiner kommunistischen Umtriebigkeit gefallen ihm - und verleihen ihm zusätzlich etwas Verführerisches. Hannah gibt ihm den Kosenamen »Monsieur«.

Paris 1936, Exil und Heimat für die jüdischen Intellektuellen nach ihrer Flucht aus Deutschland, solange sie hier geduldet werden. Logieren in billigen Hotels, Flanieren durch die Passagen der Metropole. Die habe sich - so Hannah Arendt in ihrem Essay über Walter Benjamin2, den sie Benji nennt und mit dem sie und Heinrich gern Schach spielen - »mit einer Selbstverständlichkeit ohnegleichen seit Mitte des vorigen Jahrhunderts allen Heimatlosen als zweite Heimat angeboten. Weder die ausgesprochene Fremdenfeindlichkeit der Bewohner noch die ausgeklügelten Schikanen der einheimischen Fremdenpolizei haben daran je etwas zu ändern vermocht.«3 Die jungen Liebenden genießen das neue Zuhause, oder besser die Zwischenstation, als »ein großzügig gebautes und geplantes Interieur in freier Luft, über dem das Himmelsdach sinnfälligste Realität wird«.4 Die Wohnverhältnisse sind bescheiden, nichts Dauerhaftes, so dass die Stadt Paris einen