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Hinter Glas

Julya Rabinowich

E-Book (EPUB)
2019 Carl Hanser Verlag München
Auflage: 1. Auflage
208 Seiten; ab 14 Jahre
ISBN: 978-3-446-26323-9

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Kurztext / Annotation
Wie ein Spiegel ist Alice bisheriges Leben in tausend Scherben zerbrochen. Sie hat die Enge und Stille, die Tyrannei des Großvaters nicht mehr ausgehalten. Und flieht zu Niko, ihrer großen Liebe. Von ihm erhofft sie sich Geborgenheit und Halt. Mit ihm verbringt sie einen Sommer voller Freiheit. Doch dann verändert sich alles: Niko ist zunehmend unbeherrscht. Im Moment der größten Verzweiflung gelingt es Alice, sich aus dem Strudel zu befreien. Julya Rabinowich schreibt mit einer erzählerischen Intensität, wie man sie im Jugendbuch lange gesucht hat. Eindringlich und mit poetischer Kraft schildert sie die Facetten der Gewalt und die Geschichte einer Emanzipation.

Julya Rabinowich, geboren 1970 in St. Petersburg, lebt seit 1977 in Wien, wo sie auch studierte. Sie ist als Schriftstellerin, Kolumnistin und Malerin tätig sowie als Dolmetscherin. Bei Deuticke erschienen Spaltkopf (2008, u. a. ausgezeichnet mit dem Rauriser Literaturpreis 2009), Herznovelle (2011, nominiert für den Prix du Livre Européen), Die Erdfresserin (2012) und Krötenliebe (2016). Mit Dazwischen: Ich veröffentlichte sie bei Hanser 2016 ihr erstes Jugendbuch. Es wurde u. a. mit dem Friedrich-Gerstäcker-Preis, dem Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis und dem Luchs (Die Zeit & Radio Bremen) ausgezeichnet sowie unter die Besten 7 Bücher für junge Leser (Deutschlandfunk) gewählt. 2019 erschien ihr Jugendbuch Hinter Glas, 2022 folgte Dazwischen: Wir.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

3. Spiegelscherbe

Fast Forward

Eine Liebesgeschichte beginnt immer schon, bevor sie eigentlich begonnen hat. Dieses Flattern der Nerven, dieses heimliche Schauen, diese Angst, Wut und Hoffnung, lange, sehr lange, bevor die wirkliche Annäherung passiert. Das ist so ein elender Schwebezustand, wie das lange Fallen in den Kaninchenbau. Sie weiß es eigentlich schon jetzt, wohin die Reise geht. Aber sie kann es noch gut verdrängen. Das macht mir nichts. Alles, was sie verdrängt, landet schlussendlich bei mir. Ich hebe es für sie auf. Eines Tages wird es wieder ihr gehören.

»Kann ich deinen Radiergummi haben?« Niko setzte sein strahlendstes Lächeln auf.

»Bitte, da.« Ich sah ihn nicht einmal richtig an. Ich versuchte, das Stillleben, das uns Frau Mahler liebevoll und viel zu hoffnungsfroh aufgebaut hatte, halbwegs korrekt auf mein verkleckstes Blatt Papier zu übertragen. Die Kannen sahen allesamt verformt aus. Bildende Kunst war einfach nicht meine Stärke. Aber bemühen wollte ich mich schon aus Prinzip.

Niko lehnte sich zu mir herüber. »Der Winkel ist falsch.«

Ich schwieg und schwang den Pinsel.

»Willst du meins anschauen?«

»Nö.«

»Bist du immer so ruppig?«

»Nein, nur wenn man mich beim Arbeiten stört.«

Er legte den Radiergummi zurück.

Rosa kam an unseren Tisch und stellte sich hinter mich. »Na, Queen Bazilla«, sagte sie.

Ich zog reflexartig die Schultern hoch, aber sie schnippte nur mein Bild zur Seite. Niko war in seine Arbeit vertieft und merkte nichts. Oder er wollte nichts merken. Wer weiß.

»Das sieht aber toll aus, Niko!« Sie lachte ihn an und warf ihr Haar zurück.

Niko blähte sich auf wie ein Ochsenfrosch und sah mich erwartungsvoll an. Ich blickte auf mein Bild und ignorierte ihn. Als ich irgendwann wieder hochschaute, stellte ich fest, dass er mich konzentriert beobachtete.

Als ich am Ende der Stunde meine Zombiekannen abgab, lag Nikos Bild schon auf dem Stapel. Zwischen den Kannen ragte ein Gesicht hervor. Ich sah genauer hin. Das Gesicht sah aus wie meins. Sogar den leicht störrischen Zug um den Mund hatte er getroffen. Ich musste lächeln. Achtlos warf ich mein Blatt zu den anderen und verließ die Klasse.

Draußen wartete Niko, aber ich ging an ihm vorbei, als würde ich ihn nicht sehen. Rosa, die sich gerade anschickte, mir das Bein zu stellen, nutzte ihre Chance und begann lieber ein Gespräch. Ich hörte ihr Lachen den ganzen Gang hinunter.

Bitte. Sollte sie doch flirten. Wenn sie unbedingt wollte. Mir war das ganz egal. Wirklich.

Am Abend lag ich wach und dachte an seine Hände. Schöne Hände. Das musste ich mir eingestehen.

Der Rest der Woche verlief unspektakulär. Rosa war krank, und mit ihrem Fehlen entspannte sich meine Situation. Wenn sie nicht beständig Öl ins Feuer goss, schienen die anderen mich zu vergessen. Ich sprach ab und zu mit Niko. Ich machte meine Hausaufgaben. Ich passte ganz gut auf. Niko interessierte sich zusehends auch für andere in der Klasse, und man konnte wirklich nicht sagen, dass sie sich nicht auch für ihn interessierten. Vor allem die Mädchen. Die Tage fühlten sich nach Ruhe vor dem Sturm an, aber ich konnte nicht sagen, auf was ich eigentlich wartete. Aber am Freitag kam Rosa zurück, und alles nahm wieder an Fahrt auf.

Am Nachmittag stand noch Sportunterricht an. Einige hingen in der Mittagspause im Schulgarten ab, einige gingen nach Hause. Niko verschwand gleich nach dem Läuten. Ich war gleichzeitig erleichtert und traurig darüber. Fühlte sich seltsam an.

Ich setzte mich mit meinem Buch ins Gras. Nach den ersten fünf Seiten fiel ein Schatten über die Buchstaben. Ich hob den Kopf nicht. Manchmal half es, wenn man einfach nicht reagierte.

Zack.

Das Buch flog in hohem Bogen aus meinen Händen. Rosas Fuß erschien direkt vor meiner Nase. Ich studierte die bunten Schnürsenkel in