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Goldschatz

Ingrid Noll

E-Book (EPUB)
2019 Diogenes
Auflage: 2. Aufl.
368 Seiten
ISBN: 978-3-257-60954-7

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€ 10,99

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Kurztext / Annotation
Fünf junge Leute wollen es der Wegwerfgesellschaft zeigen: Tante Emmas altes Bauernhaus soll in eine alternative Studenten-WG verwandelt werden. Doch für die Renovierung fehlt das Geld. Da taucht in Emmas Trödel ein Säckchen mit Goldmünzen auf. Aber der Schatz holt sie nicht etwa aus der Bredouille. Im Gegenteil, er führt sie mitten hinein und macht sie mit den unschönen Regungen des menschlichen Herzens bekannt.

Ingrid Noll, geboren 1935 in Shanghai, studierte in Bonn Germanistik und Kunstgeschichte. Sie ist Mutter dreier erwachsener Kinder und vierfache Großmutter. Nachdem die Kinder das Haus verlassen hatten, begann sie Kriminalgeschichten zu schreiben, die allesamt zu Bestsellern wurden. 2005 erhielt sie den Friedrich-Glauser-Ehrenpreis der Autor:innen für ihr Gesamtwerk.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

{7}1 Das Bauernhaus

Arrogante Menschen würden meine Eltern für neureiche Spießer halten. Aber ich lasse nichts auf sie kommen, denn sie haben das Herz auf dem rechten Fleck. Überhaupt halte ich den Ausdruck Spießer für fragwürdig, denn es kommt schließlich auf den Standpunkt an. Ich kenne eine Familie, die ihrer Schrankwand aus Eiche mit eingebauter Bar immer treu geblieben ist und auch bei der gesamten Einrichtung nicht auf ein plüschiges Ambiente und Schleiflackbetten mit goldenen Leisten verzichten wollte. Gerade diese stockkonservativen Leute haben einen traumatisierten Flüchtlingsjungen liebevoll bei sich aufgenommen. Mit abwertenden Äußerungen über Stil und Geschmack kann man sich natürlich schnell auf Kosten anderer interessant machen, aber das ist nicht mein Niveau.

Echte Spießer sind nach meiner Meinung nur solche Menschen, in deren Köpfen weder Toleranz noch Empathie einen Platz gefunden hat. Sie müssen nicht unbedingt alt und verkrustet sein, sondern {8}können auch modern und schick gekleidet daherkommen. Manchmal finde ich sogar, dass in meiner Generation das Bedürfnis nach Sicherheit derart überhandnimmt, dass von fortschrittlichen Ideen oder gar gesunder Aufsässigkeit nur in Ausnahmefällen die Rede sein kann. An unserer Uni sehen viele Studierende aus wie Banker, rundherum adrett, topgepflegt, langweilig, brav. Blütenweiße Hemden und Blusen, dunkelblaue Kaschmirpullover. Keine Spur von Opposition, keine leidenschaftlichen Diskussionen, alle streben mit großem Fleiß nach guten Abschlüssen und der Aussicht auf einen lukrativen Job mit einer gesicherten Rente. Meinem Freund Henry gingen die meisten unserer Altersgenossen derart auf die Nerven, dass er mit Gleichgesinnten einen Klub gründete und ihn Gegenstrom nannte. Erst viel später erkannte ich allerdings, dass Henry der Einzige von uns war, der wirklich konsequent seine hochgesteckten Ziele verfolgte. Alle anderen waren etwas halbherzig, Henry konnte sie wohl hauptsächlich durch seine charismatische Ausstrahlung überzeugen.

Wir bewunderten die Generation unserer Großväter, die frischen Wind in die Hörsäle brachten, Kommunen gründeten, Konflikten mit der Vätergeneration nicht aus dem Wege gingen und gegen die einseitig antikommunistische Orientierung der {9}Politik protestierten. In unserem Freundeskreis wollte man bewusst gegen den Mainstream schwimmen und auf übertriebenen Konsum sowie trendige Kleidung verzichten. Bei Smartphone, Computer und Auto wollten wir uns - auch aus finanziellen Gründen - mit Secondhandware begnügen, was zugegebenermaßen meistens nicht klappte. Schon bald spottete man über uns, Späthippies und Spinner waren noch die nettesten Bezeichnungen, Penner und Altpapiersammler die unfreundlichsten. Man hätte uns wohl eher akzeptiert, wenn wir uns für eine politische Partei engagiert und zum Beispiel für die Grünen geworben hätten.

Saskia, meine beste Freundin, war zwar nicht ganz so konsumresistent wie wir, aber sie wollte unbedingt auch zum Gegenstrom gehören. Und so kam es, dass wir zu dritt eine verwegene Idee in die Tat umsetzten.

 

Meine früh verwitwete, kinderlose Tante Emma war steinalt geworden und hätte wohl nie gedacht, dass inzwischen eine Generation heranwächst, die ihren altmodischen Vornamen wieder schick findet. Meine Eltern erbten zwar ihr marodes Haus, aber vor dem geplanten Abriss überließen sie es erst einmal mir. Es handelte sich um ein bäuerliches Anwesen am Rande der Stadt, wo man bereits fast {10}alle Fachwerkhäuser durch moderne Einheitskästen ersetzt hatte. Denkmalschutz bestand bei diesen rustikalen Gebäuden sowieso nicht, die dazugehörigen Äcker lagen einige Kilometer entfernt und waren schon vor vielen Jahren als Bauland verkauft worden.

Beinahe bis zu ihrem Tod hatte meine Großtante ganz allein hier g