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Brainfuck. Roman | Sibylle Berg

E-Book (EPUB)
2019 Verlag Kiepenheuer & Witsch Gmbh
Auflage: 1. Auflage
640 Seiten
ISBN: 978-3-462-31953-8

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€ 12,99

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Kurztext / Annotation
»Ein Buch wie ein Sprengsatz. Brutal und zärtlich zugleich.« Ursula März, Die Zeit Die Überwachungsdiktatur ist fast perfekt. Jeden Tag wird ein anderes westliches Land autokratisch. Algorithmen ersetzen Menschen, Menschen ersetzen einander, es gibt kaum noch Platz für Träume, außer in der Musik. Aber vier Jugendliche versuchen sich in einer Revolution. Begleitet von Grime, der besten britischen Erfindung seit Punk. Das ist keine Dystopie. Es ist die Welt, in der wir leben. Heute. Und vielleicht morgen. Es wird nicht schlimm. Nur - anders. Willkommen in der Welt von GRM.

Sibylle Berg lebt in Zürich. Ihr Werk umfasst 27 Theaterstücke, 15 Bücher und wurde in 34 Sprachen übersetzt. Berg ist Herausgeberin von drei Büchern und verfasst Hörspiele und Essays. Sie erhielt diverse Preise und Auszeichnungen, u.a. den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor, den Nestroy-Preis, den Schweizer Buchpreis, den Grand Prix Literatur, den Bertolt-Brecht-Preis und den Johann-Peter-Hebel-Preis. Bei Kiepenheuer & Witsch erschienen zuletzt die Romane »GRM/Brainfuck« (2019) und »RCE« (2022) sowie der Gesprächsband »Nerds retten die Welt« (2020).

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Don

Gefährderpotenzial: hoch

Ethnie: unklare Schattierung von nicht-weiß

Interessen: Grime, Karate, Süßigkeiten

Sexualität: homosexuell, vermutlich

Soziales Verhalten: unsozial

Familienverhältnisse: 1 Bruder, 1 Mutter, Vater - ab und zu, aber eher nicht

Sie beginnt in Rochdale.

Fucking Rochdale. Ein Ort, den man ausstopfen und als Warnung vor unmotivierter Bautätigkeit in ein Museum stellen müsste. Messingschild: »So leben Menschen im neuen Jahrtausend, wenn sie sich nicht an die Gegebenheiten der Märkte anpassen.«

Ein Sammelbecken für die Unnützen. Ein Pool nicht-genmodifizierten Ausschusses.

Also Rochdale. Ein kleines Kaff in der Nähe von Manchester. Bekannt für sein konstantes Wetter. Also schlecht. Rochdale war laut den Berechnungen bereits im fünften Jahr die deprimierendste Stadt des Königreiches. Stadtgewordene Gehirnschäden sind absolut nicht konsumfördernd, und also befand sich die Stadt im Todeskampf. Seit Jahrzehnten. Wie Tausende Städte des Westens, die sich alle ähnelten: Backsteinhäuser, durchgeweichte Straßen und ein Kino, geschlossene Postämter, geschlossene Supermärkte. Das Zeug braucht man nicht mehr, denn es ist die Zeit des Internets. In dem man jeden Film streamen kann. Alle notwendigen Lebensmittel, sprich Margarine und Weißbrot, kaufen kann. Die Pappkartons werden in die Häuser geliefert. Die Insassen hätten aber auch genauso gut Tapete mit Salz bestreuen und verzehren können.

Rochdale war in den überschaubaren Zirkeln Objektophiler berühmt für die sieben Hochhäuser. Mithin sah man sie verstohlen um die Sozialbauten streichen und hektisch die blätternde Fassade lecken. In den Seven Sisters, so ihre inoffizielle Bezeichnung, war jede Woche etwas los. Was meist mit dem Ableben eines Menschen zu tun hatte. Don beneidete die Menschen, die dort leben durften. Sie hatten das interessantere Leben. Interessanter als das ihre, das in einer ganz normalen Sozialsiedlung ein paar Minuten entfernt stattfand. In den Seven Sisters wurde im großen Stil mit Drogen gehandelt, da erschlugen sich Familienmitglieder, und immer wieder sprangen oder - sagen wir - glitten Menschen aus einem der oberen Stockwerke in die Tiefe. Don hatte damals noch keine Toten gesehen und war überzeugt, dass der Anblick ihr ein großes Geheimnis offenbaren würde. Vielleicht würde er noch einmal die Augen öffnen, der Tote, und im Stil einer BBC-Reporterin mit Helmfrisur fragen: »Und, wie ist das so für einen jungen Menschen« - innehalten und nachdenken, ob das Substantiv zutreffend ist -, »in dieser Stadt aufzuwachsen?« Don würde so tun, als dächte sie nach, und dann sagen: »Wissen Sie, jeder hält doch das Leben, in dem er sich aufhält, für normal. Man kennt kein anderes. Ich wurde hier geboren und habe die Stadt in ihrer Schäbigkeit nie hinterfragt. Sie ist da, wie das schlechte Wetter, wie die langweiligen Schulferien, ich habe nicht darüber nachgedacht, dass es andere Orte gibt. Oder sagen wir so. Ich weiß, dass im Netz behauptet wird, es gäbe sie.«

Der Tote würde kurz insistieren: »Ist Ihre Ausdrucksweise wirklich kindgerecht?«, bevor er weiter tot sein würde.

Don war nicht mehr Wurmfortsatz ihrer Eltern, sondern ein selbständiger Mensch. Sie hatte keine Angst mehr, wenn ihre Mutter nicht anwesend war, suchte deren Gesicht nicht mehr nach Anzeichen des Unmutes ab, sie fragte sich nicht mehr, wie sie ihre Mutter endlich glücklich machen könnte. Kurz gesagt, fragte Don sich nicht mehr, welche Anstrengungen sie unternehmen könnte, damit sie endlich geliebt würde. Es ging Don besser ohne diese komplette emotionale Abhängigkeit.

Wäre sie älter und von ihrer Wichtigkeit erfüllt, würde sie Dinge murmeln wie: »Ich kann sehr gut mit mir alleine sein.« Es fragte sie nur keiner, denn Don war so jung, dass Erwachsene sie nicht als Menschen betrachteten. Dabei w