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Die Hungrigen und die SattenOverlay E-Book Reader

Die Hungrigen und die Satten

Roman | Timur Vermes

E-Book (EPUB)
2018 Eichborn Ag
Auflage: 1. Auflage
509 Seiten; ab 16 Jahre
ISBN: 978-3-7325-6546-7

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€ 9,99

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Kurztext / Annotation

Vom Autor von ER IST WIEDER DA!
'Ein großartiges Buch: lustig, böse, traurig!' KESTER SCHLENZ, STERN
Deutschland hat eine Obergrenze für Asylsuchende eingeführt, ganz Europa ist bis weit nach Nordafrika hinein abgeriegelt. Jenseits der Sahara entstehen riesige Lager, in denen Millionen von Flüchtlingen warten, warten, warten. So lange, dass man in derselben Zeit eigentlich auch zu Fuß gehen könnte, wäre das nicht der sichere Tod.
Als die deutsche Starmoderatorin Nadeche Hackenbusch das größte dieser Lager besucht, erkennt der junge Lionel die einmalige Gelegenheit: Mit 150.000 Flüchtlingen nutzt er die Aufmerksamkeit des Fernsehpublikums und bricht zum Marsch nach Europa auf. Die Schöne und die Flüchtlinge werden zum Quotenhit. Und während sich der Sender über Live-Berichterstattung mit Zuschauerrekorden und Werbemillionen freut, reagiert die deutsche Politik mit hilflosem Wegsehen, Kleinreden und Aussitzen. Doch je näher der Zug rückt, desto mehr ist Innenminister Joseph Leubl gefordert. Und desto dringlicher stellen sich ihm und den Deutschen zwei Fragen: Was kann man tun? Und in was für einem Land wollen wir eigentlich leben?
Timur Vermes' neuer Roman ist eine Gesellschaftssatire, aktuell, radikal, beklemmend und komisch zugleich. DIE HUNGRIGEN UND DIE SATTEN fängt dort an, wo der Spaß aufhört.
'Wenn Timur Vermes' Erstlingswerk ER IST WIEDER DA böse, realistisch und komisch ist, so ist sein zweiter Geniestreich böser, realistischer und komischer.' CHRISTOPH MARIA HERBST




Timur Vermes wurde 1967 in Nürnberg als Sohn einer Deutschen und eines Ungarn geboren. Er studierte in Erlangen Geschichte und Politik und arbeitete anschließend als Journalist und Ghostwriter. Er schrieb bis 2001 für die Abendzeitung und den Kölner Express und später für mehrere Magazine. Sein 2012 erschienener Roman Er ist wieder da ist eines der erfolgreichsten deutschen Debüts der letzten Jahrzehnte.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

1

Der Flüchtling versucht betont normal zu gehen, was nicht leicht ist, weil es sich nicht normal anfühlt. Ob sein Gang so natürlicher wird, kann er noch nicht sagen. Er weiß nur, dass das Normalgehen auch deshalb nicht klappt, weil ihn die Blicke der anderen nervös machen. Er zieht daraufhin den Kopf etwas ein, aber das ist der falsche Weg, das merkt er gleich an den Reaktionen: Wahrscheinlich sieht er jetzt aus wie ein buckliger Storch. Dann lieber Brust raus, Kopf hoch und grinsen.

Besser.

Er muss nur aufpassen, dass er nicht anfängt, huldvoll zu grüßen wie die alte Engländerkönigin.

Hätte er es früher tun sollen? Ging eigentlich nicht. Es ist ja nicht so, dass er ewig darüber nachgedacht hat. Er ist auch jetzt noch nicht sicher, ob es richtig war. Ändern kann er es auf jeden Fall nicht mehr.

Er entspannt sich langsam, das Grinsen wird zu einem Lächeln. Er lässt sich allmählich in seine neue Rolle fallen. Ist ja logisch, dass sie ihn ansehen. Wie sollte es auch anders sein: Wenn jeder Tag genauso ist wie der Tag zuvor, dann werden kleinste Veränderungen aufregend. Interessant ist, dass sein sichereres Auftreten andere Reaktionen hervorruft. Es wird weniger gekichert, und er bekommt öfter ein aufmunterndes Nicken oder Anerkennung. Zwei Kinder laufen ihm hinterher, so wie sie manchmal Autos nachlaufen. Es könnten noch mehr werden, aber dann kommt tatsächlich ein Auto, und seine Staubwolke reißt die Kinder mit sich fort.

Der Flüchtling beginnt mit der neuen Situation zu spielen. Ein Mädchen sieht ihn an, und er antwortet auf ihren Blick mit einem Tanzschritt. Sie lacht. Es fühlt sich gut an. Es war richtig. Es war's wert. Er hätte es wohl doch früher tun sollen. Der Flüchtling biegt um die Ecke und sieht Mahmoud.

Mahmoud hockt auf dem Boden und beobachtet eine Gruppe von Mädchen. Der Flüchtling schiebt die Hände in die Hosentaschen und stellt sich neben Mahmoud. Mahmoud bewegt sich nicht.

»Das bringt nix«, sagt der Flüchtling zu ihm.

»Das weiß man nicht«, meint Mahmoud, ohne aufzublicken.

»Das weiß man. Du guckst falsch.«

»Ich guck, wie alle gucken.«

»Eben«, sagt er. »Alle gucken zu Nayla, alle gucken wie du. Woran soll sie merken, dass du besonders bist?«

»Weil es gar nicht um Nayla geht.«

»Sondern? Um Elani?«

»Vielleicht. Vielleicht nicht.«

»Das wäre ja noch blöder.«

»Woher willst du das wissen?«

»Weil es auch für Elani aussieht, als ob du Nayla anschaust. Dann denkt eben auch Elani, dass du wie alle bist.«

Mahmoud legt den Kopf in den Nacken und dreht die Augen nach oben, bis er den Flüchtling ansehen kann: »Hast du einen besseren Plan?«

»Warum gehst du nicht rüber, ganz cool, so dass Nayla schon überlegt, wie sie dich am besten abwimmelt. Und wenn du dann neben ihr stehst, wenn Nayla schon den Mund aufmacht - dann wendest du dich plötzlich an Elani.«

Mahmoud klappt seinen Kopf wieder nach vorne. Er denkt über den Vorschlag nach und sagt dann: »Das ist deine Nummer. Du bist so ein Quatscher. Ich bin mehr so ein Gucker. Meine Kraft liegt in meinem Blick. Wo hast du die Schuhe her?«

Mahmoud hat nicht ein Mal nach unten gesehen. Vielleicht liegt seine Kraft ja wirklich in seinem Blick.

»Man spart ein bisschen, wenn man selbst nicht raucht«, sagt der Flüchtling und hält Mahmoud die Zigaretten hin.

Mahmoud nimmt sich eine und sagt: »Aber man spart mehr, wenn man schnorrt.« Er steckt die Zigarette hinter sein Ohr und dreht sich in der Hocke zum Flüchtling, wie ein Automechaniker, der einen Schaden begutachtet. »Die sehen gut aus«, sagt er anerkennend, »die sehen sogar echt aus. Wenn ich nicht wüsste, dass du hier keine Echten kriegst, würde ich sagen ...«

»Natürlich kriegst du hier Echte.«

Der Flüchtling klemmt die Schachtel wieder unter den linken Ärmel seines T-Shirts auf die breite Schulter. Das macht wed