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Ein wenig LebenOverlay E-Book Reader

Ein wenig Leben

Roman | Hanya Yanagihara

E-Book (EPUB)
2017 Hanser Berlin
Auflage: 1. Auflage
960 Seiten
ISBN: 978-3-446-25558-6

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€ 17,99

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Kurztext / Annotation
'Ein wenig Leben' handelt von der lebenslangen Freundschaft zwischen vier Männern in New York, die sich am College kennengelernt haben. Jude St. Francis, brillant und enigmatisch, ist die charismatische Figur im Zentrum der Gruppe - ein aufopfernd liebender und zugleich innerlich zerbrochener Mensch. Immer tiefer werden die Freunde in Judes dunkle, schmerzhafte Welt hineingesogen, deren Ungeheuer nach und nach hervortreten. 'Ein wenig Leben' ist ein rauschhaftes, mit kaum fasslicher Dringlichkeit erzähltes Epos über Trauma, menschliche Güte und Freundschaft als wahre Liebe. Es begibt sich an die dunkelsten Orte, an die Literatur sich wagen kann, und bricht dabei immer wieder zum hellen Licht durch.

Hanya Yanagihara, 1974 geboren, ist eine US-amerikanische Schriftstellerin und Journalistin. Mit ihrem Roman 'Ein wenig Leben' gewann sie den Kirkus Award und stand auf der Shortlist des Man Booker Prize, des National Book Award und des Baileys Prize. 'Ein wenig Leben' ist eines der bestverkauften und meistdiskutierten literarischen Werke der vergangenen Jahre. Eine TV-Serie, produziert von Scott Rudin (The Social Network, No Country for Old Men, Frances Ha, Grand Budapest Hotel), ist in Vorbereitung. Yanagihara ist Chefredakteurin des 'T Magazine' der 'New York Times'.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

1

Die elfte Wohnung hatte nur einen einzigen Schrank, aber es gab eine gläserne Schiebetür, die auf einen kleinen Balkon führte, von dem aus er einen Mann im Haus gegenüber sehen konnte, der nur mit T-Shirt und kurzen Hosen bekleidet im Freien saß und eine Zigarette rauchte, obwohl es schon Oktober war. Willem hob eine Hand zum Gruß, aber der Mann winkte nicht zurück.

Im Schlafzimmer schob Jude die Schranktür auf und zu wie ein Akkordeonspieler, als Willem hereinkam. »Es gibt nur einen Schrank«, sagte er.

»Das macht nichts«, sagte Willem. »Ich habe sowieso nichts zum Reinhängen.«

»Ich auch nicht.« Sie lächelten einander an. Die Maklerin folgte ihnen langsam in den Raum. »Wir nehmen sie«, sagte Jude zu ihr.

Doch im Büro der Maklerin erfuhren sie, dass sie die Wohnung doch nicht mieten konnten. »Warum nicht?«, fragte Jude.

»Sie verdienen nicht genug, um sechs Monatsmieten zu bestreiten, und Sie haben keinerlei Ersparnisse«, sagte die Maklerin, plötzlich kurz angebunden. Sie hatte ihre Kreditwürdigkeit und ihre Bankkonten überprüft und war letztlich zu der Feststellung gekommen, dass etwas nicht stimmen konnte, wenn zwei Männer in ihren Zwanzigern, die kein Paar waren, eine Zweizimmerwohnung in einem faden (aber trotzdem teuren) Teil der 52th Street mieten wollten. »Gibt es irgendjemanden, der für Sie bürgen könnte? Ein Arbeitgeber? Eltern?«

»Unsere Eltern sind tot«, sagte Willem rasch.

Die Maklerin seufzte. »Dann sollten Sie vielleicht Ihre Erwartungen herunterschrauben. Niemand, der ein gut verwaltetes Haus besitzt, wird an Bewerber mit Ihrem finanziellen Profil vermieten.« Daraufhin erhob sie sich mit einer gewissen Endgültigkeit und blickte ostentativ zur Tür.

Doch als sie JB und Malcolm davon erzählten, verwandelten sie es in eine Komödie: Der Boden des Apartments war mit Mäusekot tätowiert, der Mann auf der anderen Straßenseite hatte sich beinahe entblößt, die Maklerin war verärgert gewesen, weil Willem ihre Flirtversuche ignoriert hatte.

»Wer will schon an der Ecke 52th Street und Second Avenue wohnen«, sagte JB. Sie saßen im Pho Viet Huong in Chinatown, wo sie sich zweimal im Monat zum Abendessen trafen. Das Pho Viet Huong war nicht besonders gut - die Pho-Suppe war merkwürdig süßlich, der Zitronensaft schmeckte nach Seife, und nach jedem Essen wurde mindestens einem von ihnen übel -, aber sie kamen immer wieder, sowohl aus Gewohnheit wie auch aus Bedürftigkeit. Im Pho Viet Huong konnte man für fünf Dollar eine Suppe oder ein Sandwich essen, oder man bestellte sich eines der Hauptgerichte, die acht Dollar kosteten, aber viel größer waren, sodass man die Hälfte aufheben konnte, um sie am Tag darauf oder als nächtlichen Snack zu essen. Malcolm war der Einzige, der seinen Hauptgang nie ganz aß, sich aber auch nie die andere Hälfte einpacken ließ; wenn er fertig war, stellte er seinen Teller in die Mitte des Tisches, damit Willem und JB - die immer am hungrigsten waren - den Rest essen konnten.

»Natürlich wollen wir nicht dort wohnen, JB«, sagte Willem geduldig, »aber wir können es uns nun mal nicht aussuchen. Wir haben kein Geld, falls du das vergessen hast.«

»Ich verstehe nicht, warum ihr nicht einfach bleibt, wo ihr seid«, sagte Malcolm, der gerade Pilze und Tofu auf seinem Teller umherschob - er aß immer das Gleiche, Austernpilze und geschmortes Tofu in einer süßlichen braunen Soße -, den Willem und JB schon ins Auge gefasst hatten.

»Na ja, ich kann nicht«, sagte Willem. »Erinnerst du dich?« Er musste Malcolm das in den letzten drei Monaten ein Dutzend Mal erklärt haben. »Merritts Freund zieht ein, also muss ich ausziehen.«

»Aber warum bist du derjenige, der ausziehen muss?«

»Weil Merritts Name im Mietvertrag steht, Malcolm!«, sagte JB.

»Ach so«, sagte Malcolm und verstummte. Er verga