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Zwei Herren am StrandOverlay E-Book Reader

Zwei Herren am Strand

Roman | Michael Köhlmeier

E-Book (EPUB)
2014 Carl Hanser Verlag München
Auflage: 1. Auflage
256 Seiten
ISBN: 978-3-446-24759-8

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€ 11,99

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Kurztext / Annotation
Winston Churchill und Charlie Chaplin - zwei Giganten der Weltgeschichte, so unterschiedlich wie nur möglich und doch enge Freunde. Der eine schuf als weltberühmter Komiker das Meisterwerk 'Der große Diktator', der andere führte mit seinem Widerstandswillen eine ganze Nation durch den Krieg gegen Adolf Hitler. Michael Köhlmeier hat mit dem Blick des großen, phantasievollen Erzählers erkannt, was in diesem unglaublichen Paar steckt: die Geschichte des 20. Jahrhunderts zwischen Kunst und Politik, Komik und Ernst. Der arme Tramp und der große Staatsmann, in diesem verblüffendem Roman des berühmten Autors aus Österreich erleben sie die Geschichte des Jahrhunderts.

Michael Köhlmeier, in Hard am Bodensee geboren, lebt in Hohenems/Vorarlberg und Wien. Bei Hanser erschienen die Romane Abendland (2007), Madalyn (2010), Die Abenteuer des Joel Spazierer (2013), Spielplatz der Helden (2014, Erstausgabe 1988), Zwei Herren am Strand (2014), Das Mädchen mit dem Fingerhut (2016), Bruder und Schwester Lenobel (2018), Matou (2021) und zuletzt Frankie (2023), außerdem die Gedichtbände Der Liebhaber bald nach dem Frühstück (Edition Lyrik Kabinett, 2012) und Ein Vorbild für die Tiere (Gedichte, 2017) sowie die Novelle Der Mann, der Verlorenes wiederfindet (2017), Die Märchen (mit Bildern von Nikolaus Heidelbach, 2019) und Das Schöne (59 Begeisterungen, 2023). Michael Köhlmeier wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. 2017 mit dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung sowie dem Marie Luise Kaschnitz-Preis für sein Gesamtwerk und 2019 mit dem Ferdinand-Berger-Preis.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

5

Wenige Monate vor seinem Tod, im Sommer 1977, sprach Chaplin inzwischen Sir Charles Chaplin ausführlich und ein letztes Mal in seinem Leben mit einem Journalisten, mit Josef Melzer, der von einem deutschen Nachrichtenmagazin den Auftrag erhalten hatte, »dem Geheimnis der Lichtgestalt des Lichtspieltheaters auf die Spur zu kommen, bevor sie sich selbst in Licht auflöse« so Melzer im Vorwort zu seinem Buch (J. M., Chaplins Tugend, W. Kert Verlag, Bern 1979), das mir neben dem Briefwechsel zwischen meinem Vater und William Knott die ergiebigste Quelle für meinen Bericht ist. Melzer besuchte Chaplin im Manoir de Ban, seiner Villa in den Weinbergen oberhalb von Vevey mit Blick auf den Genfer See. Churchill war seit zwölf Jahren tot. Chaplin fühlte sich nicht mehr an seinen Pfandfinderschwur gebunden und gewährte Einblick in das intime Thema dieser von aller Welt als kurios empfundenen Freundschaft und erzählte auch von ihrer ersten Begegnung am Strand von Santa Monica.

Er habe, erinnerte er sich, zunächst gebangt, der andere, wer immer er auch sein mochte, könnte ihn erkennen und sich entweder mit Abscheu von ihm abwenden oder in ein solidarisches Mitleid verfallen, je nachdem zu welchem Lager er sich rechnete und welche Zeitungen er las. Der Gedanke an einen Suizid sei zwar, wie der Fremde richtig erkannt habe, durch die mediale Hetze der vorangegangenen Wochen gefährlich akut geworden, diese Option habe ihn allerdings schon seit seiner Kindheit begleitet. Eine himmelschreiende Tatsache sei ihm wieder einmal klar geworden, diesmal am Strand unter dem Sternenhimmel des kalifornischen Februars: Er hatte in seinem an Freunden so reichen Leben bisher nicht einen getroffen, mit dem er über dieses Thema hätte sprechen können.

Der Fremde deutete auf die Wunde. »Erzählen Sie einfach«, sagte er. »Ich höre Ihnen zu.«

»Ich war verlegen, wie und wo ich anfangen sollte«, sprach Chaplin Josef Melzer aufs Band. »Meine Erinnerungen überfielen mich wie ein Sturzbach. Ich meine: gewisse Erinnerungen. Es war, als wäre in meinem Gedächtnis ein Filter eingebaut, der ausschließlich die Erinnerungen an meine Selbstmordgedanken durchließ. Ich sah mich als einen Mann, der nun seit achtunddreißig Jahren durchs Leben hampelte und dabei alles Mögliche unternahm, damit er sich nicht am nächsten Baum aufknöpfte oder sich von der nächsten Brücke stürzte oder eine Pistole kaufte, was damals das Leichteste auf der Welt war, um sich eine Kugel durch den Kopf zu schießen.«

Aber, entgegnete Melzer, er könne doch nicht vergessen haben, auch in so einem Moment nicht, dass er, und das dürfe ohne Übertreibung behauptet werden, nicht nur der beliebteste Schauspieler, sondern der beliebteste Mensch der Welt gewesen sei.

»Ich«, rief Chaplin aus, »ich? Meinen Sie? Meinen Sie tatsächlich? Was meinen Sie damit? Ich war niemand! Alles war der Tramp! Jeder, der mich auf der Straße erkannte, der mir bis vor kurzem zugejubelt hätte, jeder sah in mir den Tramp. Geliebt wurde der Tramp. Als wäre er nicht ich. Als wäre er ein anderer. Ein Kommentator schrieb, es müsse doch eine Möglichkeit geben, mir zu verbieten, weiterhin den Tramp zu spielen, ich sei dieser Rolle nicht mehr würdig. Litas Anwälte prüften, ob eine einstweilige Verfügung auf die Figur des Tramps beantragt werden könnte. Jetzt, da mich alle verfluchten, glaubten sie, hinter Charlie mein wahres Ich zu sehen. Sie hatten in mich investiert, ihre Liebe, ihre Hoffnungen, ihre Schadenfreude, nun fühlten sie sich betrogen. Diesem Fremden am Strand von Santa Monica, so bildete