Buchhandlung Spazierer

Suche

FallstudieOverlay E-Book Reader

Fallstudie

Graeme Macrae Burnet

E-Book (EPUB)
2022 Kampa Verlag
Auflage: 1. Auflage
368 Seiten
ISBN: 978-3-311-70313-6

Rezension verfassen

€ 18,99

in den Warenkorb
  • EPUB sofort downloaden
    Downloads sind nur in Österreich möglich!
  • Als Hardcover erhältlich
Kurztext / Annotation
»Ich bin davon überzeugt, dass Dr Braithwaite meine Schwester Veronica getötet hat. Damit meine ich nicht, dass er sie im üblichen Wort- sinn ermordet hat, dennoch ist er für ihren Tod verantwortlich, als hätte er sie mit seinen eigenen Händen erwürgt.« Zwei Jahre zuvor, im Herbst 1963, ist Veronica am Bridge Approach in Camden von einer Überführung gesprungen und vom 4:45-Uhr-Zug nach High Barnet überfahren worden. Niemand hätte ihr das zugetraut. Am wenigsten ihre Schwester. Und so wird diese bei Dr Braithwaite, Veronicas charismatischem Therapeuten, vorstellig, allerdings unter falschem Namen: als zutiefst aufgewühlte Patientin Rebecca Smyth. Sie ist entschlossen, der seltsamen Beziehung zwischen Braithwaite und Veronica auf den Grund zu gehen, die Umstände des Selbstmords ihrer Schwester zu klären. Wird ihre Darstellung den Psychologen überzeugen? Ein hochspannendes Katz-und-Maus-Spiel zwischen einem Therapeuten und seiner Patientin. Was ist wahr, was Täuschung? Wer ist wer, wer glaubt wem was - und was dürfen, was können wir Leser glauben?

GRAEME MACRAE BURNET wurde 1967 in Schottland geboren. Sein erster Roman Das Verschwinden der Adèle Bedau wurde 2013 mit dem Scottish Book Trust New Writers Award ausgezeichnet, sein zweiter Roman Sein blutiges Projekt stand 2016 auf der Shortlist des Man Booker Prize - was bemerkenswert ist, denn Krimis schaffen es eher selten in die Auswahl für den renommierten britischen Buchpreis. Spätestens seitdem zählt Burnet, der übrigens ein begeisterter Simenon-Leser ist, zu den außergewöhnlichsten Stimmen der internationalen Krimiszene, auch weil er mit jedem seiner Bücher das Genre neu erfindet. Nach Stationen in Prag, Bordeaux, Porto und London lebt und schreibt Burnet heute in Glasgow. Seine Bücher wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Als ich den Text zum ersten Mal las, hatte ich mich darüber amüsiert, dass es zwischen dieser »Dorothy« und Veronica eine gewisse Ähnlichkeit gab. Doch Dr Braithwaite hatte die realen Gegebenheiten so gründlich geändert, dass ich zunächst keinen Verdacht schöpfte. Veronica hatte in Cambridge studiert, nicht in Oxford, unser Vater war Ingenieur, kein Beamter. Vor allem die Beschreibung von Dorothys Verhältnis zu ihrer Schwester war irreführend. Veronica und ich waren vielleicht nicht so vertraut miteinander, wie man das von Schwestern erwartet, aber sie hatte mir gegenüber niemals irgendeine Form von Ablehnung empfunden. Doch dann fielen mir immer mehr Ähnlichkeiten auf, die nicht nur Zufall sein konnten. Braithwaites Beschreibung, wie sich seine Patientin vorsichtig auf der Couch ausstreckte, entsprach so sehr Veronicas Art, dass ich laut lachen musste. Genau wie Dorothy hatte auch Veronica eine übertriebene Furcht vor Wespen, Bienen, Motten und Schmeißfliegen. Außerdem achtete sie penibel auf die Einhaltung von Regeln. Was am Ende jedoch den Ausschlag gab, war ein einziges Wort. Wenn ich mich in jungen Jahren übertrieben für etwas begeisterte oder auch mich über etwas empörte, machte Veronica meinen Enthusiasmus für gewöhnlich mit dem Satz zunichte: »Oh, musst du immer so dramatisieren?« Genau mit diesem Wort hatte sie sich gegenüber Dr Braithwaite selbst getadelt. Später, als ich herausfand, dass seine Praxis nur wenige Minuten zu Fuß von der Überführung entfernt war, von der Veronica gesprungen war, war ich überzeugt, dass sie nicht »leichten Fußes«, wie er behauptete, gegangen war, sondern mit dem festen Vorsatz, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Oder aber es war genau dieser Vorsatz, der ihren Gang so leicht gemacht hatte. Um nicht vorschnell zu urteilen und da man mir schon oft meine blühende Phantasie vorgehalten hat, ging ich am nächsten Tag erneut zu Foyles.

Ich wandte mich an einen ernsten jungen Mann, der eine Drahtgestellbrille und einen Fair-Isle-Pullunder trug. Er sah nicht danach aus, als würde er am Geschmack seiner Kunden Anstoß nehmen. Mit gedämpfter Stimme erklärte ich, ich hätte gerade Untherapie gelesen und wollte fragen, ob Collins Braithwaite noch etwas anderes geschrieben habe. Der junge Mann sah mich an, als sei ich soeben der Arche Noah entstiegen. »Etwas anderes?«, wiederholte er. »Das kann man wohl sagen!« Mit einem Wink seines Kopfes bedeutete er mir, ihm zu folgen. Ich hatte das Gefühl, an einer geheimen Verschwörung teilzunehmen. Zwei Stockwerke höher gelangten wir in die Abteilung für Psychologie. Er zog ein Buch aus dem Regal, drückte es mir in die Hand und raunte: »Verdammt brisant.« Ich sah auf das Buch. Auf dem Umschlag prangte die Silhouette eines menschlichen Körpers, der in lauter Einzelteile zersplittert war. Der Titel des Buches lautete: Töte dein Selbst. Zurück im Büro, hatte ich das Gefühl, im Besitz von Hehlerware zu sein. Ich konnte mich nicht konzentrieren und sagte Mr Brownlee, ich hätte furchtbare Kopfschmerzen, und bat ihn, mich früher gehen zu lassen. In meinem Zimmer packte ich das Buch sogleich aus. Leider muss ich gestehen, dass sich mir die »Brisanz« nicht erschloss, da es für mich keinerlei Sinn ergab. Ich bezweifle nicht, dass meine begrenzten intellektuellen Fähigkeiten daran schuld waren, aber mir kam das Buch wie die Aneinanderreihung von lauter unverständlichen Sätzen vor, von denen keiner in irgendeiner Verbindung zu dem Satz davor oder danach stand. Dennoch ließ mich der Titel erschauern, denn er schien mir zu bestätigen, dass Dr Braithwaite offensichtlich wahnsinnig war.

Ohne lange zu überlegen, beschloss ich, zur Polizei zu gehen. Am nächsten Morgen rief ich Mr Brownlee an und sagte ihm, ich würde später ins Büro kommen. Er fragte, ob ich immer noch krank sei, und ich erklärte, ich müsse im Zusammenhang mit einer Straftat eine Zeugenaussage machen. Meinem Vater sagte