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Auf Wiedersehen, Kinder

Ernst Papanek. Revolutionär, Reformpädagoge und Retter jüdischer Kinder | Lilly Maier

E-Book (EPUB)
2021 Molden Verlag
304 Seiten
ISBN: 978-3-99040-614-4

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Kurztext / Annotation
Der junge Wiener Ernst Papanek ist Vollblut-Sozialist, leidenschaftlicher Pädagoge und unerschütterlicher Optimist. Obwohl er nach dem Februaraufstand 1934 nur knapp den Häschern des Dollfuß-Regimes ins Exil entkommt, ändert das nichts an seinem politischen und sozialen Engagement. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges leitet er vier Kinderheime in Montmorency bei Paris für 283 jüdische Flüchtlingskinder aus Deutschland und Österreich. In wenigen Monaten gelingt es ihm, ein beeindruckendes pädagogisches System aufzubauen, das für seine Zeit geradezu revolutionär ist. Er kann die Kinder später in die USA holen und vor dem Holocaust bewahren. In New York verwendet Papanek dieselben pädagogischen Ansätze und leitet für zehn Jahre eine Schule für straffällige Jugendliche. Bis heute können wir von seinen für die damalige Zeit ungewöhnlichen und revolutionären Methoden im Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen lernen. Lilly Maiers große Biografie gibt dem heute beinahe Vergessenen seinen rechtmässigen Platz in der Geschichte zurück.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

2.
Eben mal die Welt retten

Schon mit 18 Jahren bekommt Ernst Papanek eine prägnante Halbglatze, die ihn wesentlich älter erscheinen lässt. Das Foto links wurde um 1920 aufgenommen, da ist der Student gerade einmal zwanzig Jahre alt. Von Vorteil ist die Glatze, um Papanek in Gruppenfotos zu finden, sei es im Kreis seiner Kollegen (vorletzte Reihe 3. v. r.) ...

... oder in der Landarbeiterjugendschule in Wien (3. Reihe 5. v. r.).

Die Niederlage im Ersten Weltkrieg bedeutete den Untergang für das Herrscherhaus der Habsburger und ihr Reich an der Donau. Die Monarchie und der Adel wurden abgeschafft, der habsburgische Vielvölkerstaat zerbrach in nicht weniger als sieben Nachfolgestaaten. Vor dem Krieg hatte Wien etwas mehr als zwei Millionen Einwohner gezählt, eine angemessene Größe für die Hauptstadt eines Reiches, in dem 1910 über 51 Millionen Menschen lebten. Nach 1918 gab es immer noch etwa zwei Millionen Wiener, aber Österreich selbst war auf magere 6,5 Millionen Einwohner geschrumpft.22 Nicht ohne Grund nannte man Wien den »Wasserkopf« des Landes.23

Der junge Mann besuchte Vorlesungen in Medizin, Pädiatrie und Psychiatrie und lernte bei prominenten Ärzten wie Julius Tandler, bei dem er eine sechsstündige Sezierübung belegte, oder Clemens von Pirquet, einer Koryphäe auf dem Gebiet der Kinderheilkunde. Zwölf Semester lang studierte Papanek Medizin - zumindest theoretisch. In der Praxis war er viel zu sehr damit beschäftigt, »die Welt zu retten«, wie es mehrere Mitglieder seiner Familie übereinstimmend berichteten. Regelmäßig rasselte er durch Prüfungen und glänzte im Hörsaal durch Abwesenheit. Die Spielkameraden, die Politik und sein vielfältiges Engagement für sozialdemokratische Organisationen, all das war Papanek wichtiger, als die lateinischen Namen menschlicher Knochen auswendig zu lernen.

***

»Er studierte nicht wirklich Medizin, er hatte gar keine Zeit«, brachte es Papaneks spätere Ehefrau Lene in ihren unveröffentlichten Memoiren auf den Punkt. »Er tat, was er sein ganzes Leben lang tat: Er musste die Welt retten. Das meine ich ernst. Er hatte einen übertriebenen Sinn für soziale Gerechtigkeit.«27

Die runden Brillengläser wurden etwas größer, die Hose spannte etwas mehr, aber wer einmal ein Bild von Papanek gesehen hat, hat kein Problem, ihn auch auf einem zwanzig Jahre später gemachten Gruppenfoto zu erkennen.

***

Das Ferienlager mit den vielen Verehrerinnen fand 1919 statt und war eine von Dr. Eugenie Schwarzwald organisierte Ferienkolonie. »Fraudoktor«, wie sie allgemein genannt wurde, leitete eine fortschrittliche Mädchenschule in Wien, an der unter anderem Oskar Kokoschka und Arnold Schönberg unterrichteten, und engagierte sich intensiv als Philanthropin.31 Sie betrieb eine (von Adolf Loos entworfene) Suppenküche, unterstützte Papaneks Spielkameraden und organisierte 1918 erstmals eine Ferienkolonie, um die Wiener Kriegsjugend aufzupäppeln.32 Im Sommer 1919 wuchs ihre Aktion »Wiener Kinder aufs Land« um eine Reihe weiterer Kolonien, für die »Fraudoktor« mit Jugendorganisationen zusammenarbeitete. Viele Mitglieder der sozialistischen Mittelschülerbewegung nahmen an den Kolonien teil und wurden innerhalb kürzester Zeit selbst als Lehrpersonal rekrutiert. So kam es, dass der erst 19-jährige Ernst Papanek im August 1919 eine Führungsrolle in einer Kolonie für hunderte Arbeiterkinder übernahm.33 Und diese fand an einem denkbar prächtigen Ort statt: in der leerstehenden Kaiservilla in Bad Ischl.

Die großräumige Villa musste aber erst einmal instand gesetzt werden. Federführend war hierbei Papanek, der sich als großes Organisationstalent entpuppte. Eine schöne Beschreibung darüber findet sich bei Friedrich Scheu, einem langjährigen Mitarbeiter der Arbeiter-Zeitung