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Endzeit

Krieg und Alltag in Tirol 1945 | Horst Schreiber

E-Book (EPUB)
2020 Michael Wagner Verlag
588 Seiten
ISBN: 978-3-7107-6701-2

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Kurztext / Annotation
Horst Schreiber entwirft ein neues, überaus facettenreiches Bild der Endzeit nationalsozialistischer Herrschaft in Tirol. Der Autor beschreibt die Attraktivität und das Grauen des Krieges, Leid und Trauer an der Heimatfront sowie das Kriegsende in den Bezirken und die Befreiung Innsbrucks. Als der Mythos von Hitler verblasst war, regierte das Regime nur noch mit Terror gegen die eigene Bevölkerung. Das Buch untersucht den Blick der Einheimischen auf die US-amerikanischen und französischen Besatzer, auf Tirolerinnen mit intimen Beziehungen zu den ausländischen Befreiern, auf Flüchtlinge und Vertriebene, denen man vorwarf, was man selbst tat: Plündern. Horst Schreiber legt die Erfahrungen unzähliger Menschen offen. Sie zeigen, wie unterschiedlich Verfolgte und Befreite, Täter und Beteiligte, Soldaten und Kriegsgefangene, Frauen und Kinder das Ende des Nationalsozialismus und die Zeit nach dem Krieg erlebten.

HORST SCHREIBER, Mag. phil., Dr. phil., Universitäts-Dozent für Zeitgeschichte; Leiter von erinnern.at Tirol, Institut für politisch-historische Bildung über Holocaust und Nationalsozialismus des BMBWF; Lehrer für Geschichte und Französisch am Abendgymnasium Innsbruck; Obmann der Michael-Gaismair-Gesellschaft; Herausgeber der Studien zu Geschichte und Politik sowie der Reihe Nationalsozialismus in den österreichischen Bundesländern; Mitherausgeber der Gaismair-Jahrbücher und der sozialwissenschaftlichen Reihe transblick. Initiator der historischen Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen an Kindern und Jugendlichen in den Heimen des Landes Tirol, Innsbrucks und der katholischen Ordensgemeinschaften; Mitglied der Opferschutzkommission der Stadt Innsbruck.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

EINLEITUNG

Fünfundsiebzig Jahre nach der totalen Niederlage des Deutschen Reiches liegt erstmals eine Studie vor, die die Endzeit des Nationalsozialismus in Tirol analysiert, den Schwerpunkt auf den Alltag der Menschen legt, ihre Wahrnehmungen und Reaktionen, kollektiv oder individuell, miteinbezieht und in den Gesamtprozess des Untergangs der NS-Diktatur einbettet.

Um die Mikroebene des Handelns auszuleuchten, musste die bisherige Forschungsliteratur in einen neuen Sinnzusammenhang gestellt und eine literarischere Darstellung als üblich gewählt werden, die die traditionelle, nüchterne Wissenschaftssprache ergänzt und fallweise auch durchbricht. Es galt, Tagebücher und Briefe zu durchforsten und vielfältige Formen der Erinnerungen und Interpretationen in alten wie neuen Dorf- und Heimatbüchern zu heben. Chronistinnen und Chronisten steuerten wertvolle Quellen bei, besonders die Chronisten Bibliothek Mötz. Von unschätzbarem Wert war die Sammlung lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, die zahlreiche Dokumente aus und über Tirol aufbewahrt.

Die Tirolerinnen und Tiroler waren über den Ausbruch des Krieges nicht erfreut, die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs waren noch lebendig und die Angehörigen der NS-Volksgemeinschaft wollten die Vorteile und Angebote der Diktatur ungestört nutzen, auch wenn ihre verbrecherische Seite von Anfang an sichtbar war. Das Regime verzichtete auf Jubelfeiern, seine Erzählung war die des Krieges, der dem Deutschen Reich aufgezwungen worden war. In den ersten Jahren nahmen viele Soldaten den Krieg als Reiseunternehmen wahr, als Gelegenheit, die Welt kennenzulernen, die Besatzungszeit zu genießen, intime Beziehungen mit Frauen des Feindes einzugehen und Pakete mit allerlei Kostbarkeiten nach Hause schicken zu können. Die Blitzsiege der Wehrmacht erzeugten eine euphorische Stimmung in Tirol und an der Front, Hitler stieg zu einer geradezu gottähnlichen Erscheinung auf, die Zustimmung zum Nationalsozialismus war schwindelerregend hoch. Von all dem ist im ersten Kapitel die Rede. Es zeigt am Beispiel von Anton Beck und Hermann Gmeiner die Möglichkeiten, die NS-Herrschaft und Krieg boten. Der eine ergriff mit dem Eintritt in die Leibstandarte SS Adolf Hitler die Chance, tiefer Armut und Perspektivenlosigkeit zu entgehen. Der andere identifizierte sich mit seinem Soldatendasein, mit tiefempfundener Kriegskameradschaft und mit Deutschland als Vaterland, obwohl er dem National-sozialismus fernstand. Bereits im Feldzug gegen Polen waren Tiroler Soldaten an Kriegsverbrechen beteiligt. Einzelne verweigerten sich dem, bis hin zum Bruch mit dem Regime und der Wehrmacht.

Das zweite Kapitel thematisiert die verheerenden militärischen Niederlagen in Stalingrad und Nordafrika, aber auch den Massenmord an italienischen Soldaten nach dem Frontwechsel Italiens. Im Dezember 1943 war es dann soweit. Der Krieg erreichte Tirol, von nun an fühlte sich ein großer Teil der Bevölkerung seines Lebens nicht mehr sicher. So wie Otto Spero, der nach einem Bombenangriff auf sein Flakgeschütz in Innsbruck den Tod vieler Kameraden beklagte, dachten viele: »Machtlos stand ich am Friedhof und traurig war ich auch. Ich stellte mir die Frage, wie viele Menschen werde ich noch sterben hören, sehen, und wann werde ich dran sein, schon morgen, in einer Woche, in einem Monat oder in einem Jahr vielleicht?«

Das dritte Kapitel (Beschwörung) verdeutlicht das Bemühen des NSRegimes, die Angehörigen der Volksgemeinschaft an die Errungenschaften des Nationalsozialismus zu erinnern. Es erneuerte seine Zukunftsversprechen und stellte ein goldenes Zeitalter nach gewonnenem Krieg in Aussicht. Dennoch verdüsterte sich die Stimmung zusehends, tiefe Zweifel am Endsieg erfassten in der zweiten Hälfte des Jahres 1944 sogar Kernschichten der nationalsozialistischen Anhängerschaft. Das Attentat auf Hitler gab zwar dem verblassenden Führer-Mythos