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1984Overlay E-Book Reader

1984

in der Übersetzung von Michael Walter | George Orwell

E-Book (EPUB)
2011 Ullstein
Auflage: 1. Auflage
383 Seiten
ISBN: 978-3-8437-0141-9

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Kurztext / Annotation
»Freiheit bedeutet die Freiheit, zu sagen, daß zwei und zwei vier ist. Gilt dies, ergibt sich alles übrige von selbst.« Der Klassiker über einen allmächtigen Überwachungsstaat ist und bleibt beklemmend aktuell: Mit 1984 schuf George Orwell eines der einflußreichsten Bücher des 20. Jahrhunderts.

George Orwell, geboren 1903 in Motihari, Indien, verdingte sich zunächst bei der indischen Polizei in Birma. Er gab den Dienst aber 1927 aus Protest gegen die britischen Kolonialherren auf. Danach lebte er in London und Paris, und schlug sich als Tellerwäscher, Vagabund und Lehrer durchs Leben. Er schrieb zahlreiche Romane, Erzählungen, Essays und Gedichte. Orwell starb 1950.

Langtext
'Orwells Roman über die Zerstörung des Menschen durch eine perfekte Staatsmaschinerie ist längst zu einer scheinbar nicht mehr erklärungsbedürftigen Metapher für totalitäre Verhältnisse geworden.
Sein literarischer Erfolg verdankt sich einem beklemmenden Wirklichkeitsbezug, dem auch der Leser von heute sich nicht entziehen kann.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

II

Als Winston die Hand auf den Türknauf legte, sah er, daß er das Tagebuch offen auf dem Tisch liegengelassen hatte. NIEDER MIT DEM GROSSEN BRUDER stand da in so großen Buchstaben, daß man es von der Tür aus beinahe lesen konnte. Eine unglaubliche Dummheit. Doch nicht einmal in seinem panischen Schrecken, das wurde ihm klar, hatte er das cremefarbene Papier dadurch besudeln wollen, daß er das Buch zuschlug, solange die Tinte noch naß war.

Er holte tief Luft und öffnete. Sofort durchströmte ihn eine warme Welle der Erleichterung. Draußen stand eine blasse Frau mit strähnigem Haar und zerfurchtem Gesicht.

»Ach, Genosse«, begann sie jammernd, »mir war doch so, als hätte ich Sie reinkommen hören. Könnten Sie wohl mal mit rüberkommen und sich unseren Küchenausguß anschauen? Er ist verstopft und -«

Es war Mrs. Parsons, die Frau eines Etagennachbarn. (Die Anrede »Mrs.« wurde von der Partei eigentlich mißbilligt - man sollte grundsätzlich jedermann mit »Genosse« oder »Genossin« ansprechen -, doch bei einigen Frauen gebrauchte man ganz unwillkürlich das »Mrs.«.) Sie war um die Dreißig, wirkte aber wesentlich älter. Man gewann den Eindruck, daß sich in den Fältchen ihres Gesichts Staub abgelagert hatte. Winston folgte ihr den Flur entlang. Diese unprofessionellen Reparaturen waren eine fast alltägliche Plage. Die Wohnungen in der Victory Mietskaserne waren alt, etwa um das Jahr 1930 gebaut, und gingen allmählich zu Bruch. Dauernd blätterte der Verputz von Decken und Wänden, bei jedem harten Frost platzten die Leitungsrohre, bei Schnee leckte das Dach, und die Zentralheizung lief grundsätzlich auf halben Touren, wenn sie nicht aus Sparsamkeitsgründen ganz abgestellt war. Reparaturen mußten, es sei denn, man führte sie selbst aus, von entfernt gelegenen Ausschüssen abgesegnet werden, und man durfte darauf gefaßt sein, daß sie sogar das Wiedereinsetzen einer Fensterscheibe zwei Jahre hinauszögerten.

»Es ist ja auch bloß, weil Tom nicht da ist«, sagte Mrs. Parsons unbestimmt.

Die Parsonssche Wohnung war größer als Winstons und auf andere Weise schäbig. Alles hier sah irgendwie beschädigt und zertrampelt aus, so als sei der Raum gerade von einem riesigen Ungetüm heimgesucht worden. Sportutensilien - Hockeyschläger, Boxhandschuhe, ein geplatzter Fußball, eine verschwitzte, auf links gedrehte Turnhose - lagen ringsum auf dem Fußboden verstreut, und auf dem Tisch türmten sich dreckiges Geschirr und eselsohrige Schulbücher. An den Wänden hingen die scharlachroten Banner der 'Jugendliga' und der 'Spitzel' sowie ein Plakat vom Großen Bruder in voller Lebensgröße. Auch hier herrschte der obligate, dem ganzen Haus eigentümliche Kohlgeruch, doch er war durchsetzt von einem herberen Schweißdunst, der - man wußte es gleich beim ersten Schnuppern, obwohl sich das schwer begründen ließ - zu jemandem gehörte, der im Moment nicht da war. Nebenan versuchte irgendwer auf Kamm und Klopapier die Militärmusik zu begleiten, die noch immer vom Teleschirm kam.

»Das sind die Kinder«, sagte Mrs. Parsons und äugte halb ängstlich zur Tür. »Sie waren heute noch nicht draußen. Und da -«

Sie hatte die Angewohnheit, mitten im Satz abzubrechen. Im Küchenausguß staute sich das grünlich-trübe Wasser fast bis zum Rand und stank mehr als alles andere nach Kohl. Winston kniete sich hin und inspizierte den Rohrknick der Abflußleitung. Er haßte es, seine Hände zu gebrauchen, und er haßte es, sich zu bücken, weil er sich damit meist einen Hustenanfall einhandelte. Mrs. Parsons sah hilflos zu.

»Wenn Tom da wär', hätte er's im Nu repariert«, sagte sie. »So Sachen machen ihm Spaß. Er ist doch sooo geschickt mit den Händen, mein Tom.«

Parsons war Winstons Arbeitskollege im Ministerium für Wahrheit. Er war ein feister, aber aktiver Mann von lähmender Dummheit, ein Koloß hirnloser Begeisterung - eines jener absolut bedingungslos erg