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Es wird ZeitOverlay E-Book Reader

Es wird Zeit

Ildikó von Kürthy

E-Book (EPUB)
2019 Rowohlt Verlag Gmbh
Auflage: 1. Auflage
384 Seiten
ISBN: 978-3-644-20066-1

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€ 9,99

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Kurztext / Annotation
«Was soll jetzt noch kommen?» Judith ist fast fünfzig, und auf diese Frage fällt ihr leider keine zufriedenstellende Antwort ein. Die Kinder sind groß, ihr Mann ist in die Jahre gekommen und das Leben auch. Von der Liebe und dem Bindegewebe mal ganz zu schweigen. Dann stirbt ihre Mutter, und Judith kehrt nach zwanzig Jahren in die alte Heimat zurück, wo sie ein gut gehütetes Geheimnis, ein leeres Grab und einen Haufen Hoffnungen, Träume und Albträume zurückgelassen hat. Und plötzlich gerät alles aus den Fugen. Eine lebenslange Lüge stellt sich als Wahrheit heraus. Eine wiedergefundene Freundin hofft, den nächsten Sommer noch zu erleben, und will endlich wissen, was damals wirklich passiert ist. Eine Jugendliebe funkelt vielversprechend, eine Urne macht Umwege, und Judith stellt fest, dass es besser ist, sich zu früh zu freuen, als überhaupt nicht. «Es wird Zeit» ist eine Geschichte von Schuld und Freundschaft, vom Älterwerden und vom Jungbleiben, es geht um die Heimat, die Liebe und den Tod und darum, dass am Ende nichts verlorengehen kann.

Ildikó von Kürthy ist Journalistin und eine der meistgelesenen deutschen Schriftstellerinnen. Sie lebt mit ihrer Familie in Hamburg. Ihre Bücher sind Nummer-1-Bestseller, wurden mehr als sieben Millionen Mal verkauft und in 21 Sprachen übersetzt.Ildikó von Kürthy ist Gastgeberin des Podcasts «Frauenstimmen», sie berichtet auf Facebook und Instagram über Wichtiges und Nichtiges und schreibt einen regelmäßigen Newsletter. Neuigkeiten und aktuelle Tourdaten auf: www.ildikovonkuerthy.de

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Prolog

So hatte ich mir das nicht vorgestellt.

Seit Jahren frage ich mich, wie es sein wird, wenn wir uns wiedersehen. Seit Jahren habe ich nichts mehr gefürchtet und nichts mehr erhofft, als dir plötzlich gegenüberzustehen.

Und das soll er nun sein, dieser monumentale Moment?

Ich bin sehr enttäuscht.

Hauptsächlich natürlich von mir. Wie meistens. Ich suche gern die Schuld bei mir. Darin habe ich es in langen Jahren zur Perfektion gebracht. Außerdem hat mir meine Mutter ein gewisses Talent dafür bereits in die Wiege gelegt. Wie ein Drogenspürhund den Stoff finde ich jeden Fehler. Bei mir.

Was die Großereignisse meines Lebens angeht, sind die eigentlich nur selten exakt so abgelaufen, wie ich sie mir vorher ausgemalt hatte. Das scheint aber nicht nur mir so zu gehen, ich werde oft genug Zeuge, wie Leute die Realität im Nachhinein beherzt überarbeiten, damit aus Hochzeitsreisen, Geburten, Jubiläen und der eigenen Kindheit genau die Sternstunden werden, von denen sie im Bekanntenkreis voll eindringlicher Bescheidenheit berichten und an die sie irgendwann selber glauben.

Ich selbst bin immer wieder verblüfft, wenn ich mich, oft leider ungefragt, von den Geburten meiner Kinder schwärmen höre. Das klingt so, als hätte ich die allesamt selbstverständlich außerordentlich schönen und knitterfreien Säuglinge quasi nebenbei abgeworfen. Dabei musste mein Ältester mit der Saugglocke geholt werden, und der eine der Zwillinge sah bei der Geburt aus wie eine sehr ungünstige Kreuzung aus Chucky, der Mörderpuppe, und Sitting Bull. Bei allen Niederkünften wurde ich übrigens gleich nach der ersten Wehe eilig in einen abgelegenen Kreißsaal transportiert, damit mein Gebrüll nicht die Parallel-Gebärenden traumatisierte.

Großes inneres Erstaunen lösen auch die Schilderungen meines Mannes oder meine eigenen aus, wenn wir von unserer Trauung erzählen. Fast könnte ich selbst den Eindruck gewinnen, es habe sich um eine Liebesheirat gehandelt. Tatsächlich bin ich froh, dass es wenige Zeugen und Zeugnisse dieser Veranstaltung gibt und absolut Verlass war auf meine Mutter und ihr Talent, absurd schlechte Fotos zu machen, auf denen in der Regel fast nichts zu erkennen ist. Man sieht mich auf den Bildern nur als senfgelben Fleck mit Fledermausärmeln und Wasserfallkragen, und soweit ich weiß, wurde niemals eine dieser Ablichtungen irgendwo aufgestellt oder aufgehängt. Was nicht nur an der mangelnden Qualität der Fotos, sondern auch an der mangelnden Qualität der Gefühle der Braut gelegen haben könnte. Keiner, der dabei war, hat je von dieser Hochzeit geschwärmt. Womöglich ahnten die meisten, dass irgendwas nicht stimmt. Und dies, obwohl ich bis heute niemandem etwas von meiner Schuld erzählt habe.

Es ist schon so verdammt lang her. Zwanzig Jahre.

Wie aus dem Leben einer Fremden. Ich war ein anderer Mensch damals. Ich wäre ein anderer Mensch geworden, hätte ich mich anders entschieden. Aber die Sache ist längst verjährt. Die Zeit ging ins Land und zertrampelte dabei etliche meiner Träume und meiner Albträume.

Und jetzt diese Begegnung. Noch vor wenigen Sekunden hätte ich voll innerer Überzeugung behauptet, die alte Wunde sei verheilt und der Originalzustand quasi wiederhergestellt; ein unvermutetes Wiedersehen mit dir würde ich souverän und mit gelassener Freundlichkeit meistern, darauf hätte ich gewettet.

Ich habe mich jedoch offensichtlich getäuscht. Mein jahrzehntelang meist reibungslos funktionierender Verdrängungsmechanismus fliegt mir plötzlich um die Ohren wie ein bei Tempo zweihundert platzender Reifen. Jetzt bloß die Ruhe bewahren, sonst könnte erheblicher Sach- und Personenschaden entstehen.

Ich habe dich sofort erkannt, dahinten zwischen den Ilexsträuchern. Und das auf die Entfernung und obwohl ich mit den Bifokallinsen, die ich seit drei Jahren trage, gar nicht gut zurechtkomme. Eigentlich nehme ich