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Ferien vom IchOverlay E-Book Reader

Ferien vom Ich

Paul Keller

E-Book (EPUB)
2016 Books On Demand
278 Seiten
ISBN: 978-3-8423-5095-3

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Kurztext / Annotation
Paul Keller (6.7.1873 - 20.8.1932) war ein deutscher Schriftsteller und Publizist. Keller gehörte zu den meistgelesenen deutschen Autoren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Bücher erreichten bis 1931 eine Gesamtauflage von 5 Millionen und wurden in 17 Sprachen übersetzt.

Paul Keller (6.7.1873 - 20.8.1932) war ein deutscher Schriftsteller und Publizist. Keller gehörte zu den meistgelesenen deutschen Autoren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Bücher erreichten bis 1931 eine Gesamtauflage von 5 Millionen und wurden in 17 Sprachen übersetzt.

Beschreibung für Leser
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Auf dem Weihnachtsberg

Auf dem Weihnachtsberg steht ein altehrwürdiges Gasthaus. Es sieht aus wie eine Burg, hat auch einen grauen verwitterten Turm, eine Zugbrücke, Butzenscheiben und was so dazu gehört. Das echteste von dem ganzen romantischen Nest war der Wirt, der Eberhard hieß, weil er einen langen Bart hatte, oder der sich einen langen Bart hatte wachsen lassen, weil er Eberhard hieß. Die Waltersburger besuchten ihn an allen regenfreien Sonntagnachmittagen, und er lebte auf seiner luftigen Höhe so gute Tage, dass ihm der Humor niemals ausging. Dieser Eberhard war für die Waltersburger Kinder der Knecht Ruprecht. Jeden Weihnachtsabend lugten sie ängstlich, sehnsüchtig und neugierig nach dem Gipfel des Weihnachtsberges hinauf, und wenn endlich die blaue Winternacht ihren Duftschleier um den Gipfel hüllte, flammte da oben ein mächtiges Bergfeuer zum Himmel, und eine Trompete blies langsam und feierlich herab ins Tal: "Vom Himmel hoch, da komm ich her."

"Er kommt, er kommt!" stießen da die Kinder heraus, und die kleinsten zitterten in seliger Angst. Vom Berge herab aber kam mit silbernem Geläut der Knecht Ruprecht gefahren. Er thronte auf einem mit Tannenreis prachtvoll verzierten Schlitten, und andere Schlitten folgten ihm, die wurden von seinen Knechten gelenkt und waren mit Hunderten von Paketen und Paketchen beladen. Vom Stadttor an bildeten alle Kinder Spalier, die reichen wie die armen, die großen wie die kleinen. Die Eltern, Tanten und Großmütter standen hinter ihnen, und wenn der Knecht Ruprecht ankam, winkten die Kinder mit den Händen, die Väter nahmen die Mützen ab, und die Tanten und Großmütter machten tiefe, ehrfürchtige Knickse. Der Knecht Ruprecht aber saß da auf seinem tannenbekränzten Thron wie ein König und nickte nach rechts und nickte nach links, winkte mit der rechten Hand und winkte mit der linken Hand, verteilte seine Gaben an die Armen und Reichen, an die Gerechten und Ungerechten.

Nach der Feier bestieg der Knecht Ruprecht seinen Schlitten. Die Fackelträger, die Ehrenjungfrauen und alles Volk begleitete ihn bis ans Tor. Mit lustigem Klingeling fuhren die Schlitten den Weihnachtsberg hinauf, und die Leute kehrten heim, alle im Herzen froh und reich.

Das war der Weihnachtsberg bis vor acht Jahren. Da kamen die Neustädter und kauften Herrn Eberhard, der damals gerade ein wenig in Sorgen war, sein Gasthaus für einen guten Preis ab. Die Neustädter machten aus der alten edlen Burgherberge ein "Etablissement mit Burgruine, Aussichtsturm und im übrigem allem Komfort". Es wurden hölzerne Veranden mit großen Fenstern an das alte Mauerwerk geklebt, der ganze schablonenhafte öde Hotelbetrieb eingerichtet, und die Badezeitung faselte vom Fortschritt der modernen Zeit.

Dass schweres, reines Altgold in dünnes Flitterblech gewalzt wurde, empfanden am meisten die Waltersburger Kinder, die am Weihnachtsabend vergebens ausspähten nach dem leuchtenden Höhenfeuer und der süßen, verheißungsvollen Melodie: "Vom Himmel hoch, da komm ich her."

In Gedanken an alte, schöne Zeit stieg ich den Weihnachtsberg hinauf. So sentimental war ich aber nicht, um dem neuen "Etablissement" auszuweichen; dazu war ich denn doch zu weit in der Welt herumgekommen und hatte zu viel Schifflein scheitern sehen, um so eine Unglücksstelle feig zu umsegeln. Ich kehrte in dem "Etablissement" ein. In der großen Glasveranda waren drei Kellner und ein Gast anwesend.

Dieser einzige Gast saß am Fenster und guckte nicht auf, als ich zur Tür hereintrat. Daraus erkannte ich, dass er kein Deutscher war. Im Übrigen genügte mir ein Blick zu meiner Orientierung. Ich erkenne den Nordamerikaner so leicht unter allen Nationen heraus wie den Star unter den bunten Finken.

Soll ich hier das Bild wiederholen, das deutsche Karikaturisten malen, wenn es gilt, einen "Uncle Sam" zu zeichnen? Das kurzgeschorene Haar, den glattrasierten, rasiermesserdünnen Mund, die etwas schlottrige Figur mit den langen B