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Im Schatten des TurmsOverlay E-Book Reader

Im Schatten des Turms

Ein Wien-Roman | René Anour

E-Book (EPUB)
2019 Rowohlt Verlag Gmbh
Auflage: 1. Auflage
656 Seiten
ISBN: 978-3-644-40665-0

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Kurztext / Annotation
Hinter den Mauern des Narrenturms, der ersten psychiatrischen Heilanstalt der Welt ... Ein hervorragend recherchierter und extrem spannender Roman, der ein außergewöhnliches Stück Medizinhistorie vor der Kulisse weltgeschichtlicher Ereignisse erzählt. Wien, 1787. Der Medizinstudent Alfred ist fasziniert vom sogenannten Narrenturm. Hier werden erstmals die Irrsinnigen behandelt, ein ganz neuer Zweig der Medizin. Doch die Zustände sind erbarmungswürdig. Und der Anblick einer jungen Frau mit seltsamen Malen auf den Armen lässt ihn nicht los. Die junge Adlige Helene war noch nie am Wiener Hof. Ihr Vater hält Schönbrunn für eine Schlangengrube und will seine Tochter möglichst lange von dort fernhalten. Doch er kann sie nicht beschützen. Der Student, der zu viel sieht. Und die Adlige, die frei sein will. Zwei Menschen, ein Schicksal - das sich im Schatten des Turms entscheiden wird ... Ein großes historisches Panorama: vom Narrenturm bis nach Schönbrunn, vom idyllischen Jagdschloss bis in die Türkenkriege.

René Anour lebt in Wien. Dort studierte er auch Veterinärmedizin, wobei ihn ein Forschungsaufenthalt bis an die Harvard Medical School führte. Er arbeitet inzwischen bei der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit und ist als Experte für neu entwickelte Medikamente für die European Medicines Agency tätig. Sein historischer Roman «Im Schatten des Turms» beleuchtet einen faszinierenden Aspekt der Medizingeschichte: den Narrenturm, die erste psychiatrische Heilanstalt der Welt. Sein zweiter Roman bei Rowohlt ist der Auftakt zu einer Reihe um eine junge Pathologin in Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts: «Die Totenärztin».

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Prolog

1788

Blut strömte über seine Finger und tropfte auf die Erde.

Er stand inmitten toter Soldaten, in einem Meer aus leeren Mienen und grotesk verrenkten Gliedmaßen.

Eine Frauenstimme rief seinen Namen. Als er sich in ihre Richtung wandte, sah er sie zwischen den Toten stehen, in einem tiefroten Kleid, mit wehendem Haar und traurigen Augen. Sie schien etwas sagen zu wollen, doch in diesem Moment sprossen Federn aus ihrer Haut, und ihre Stimme verwandelte sich in ein Zwitschern. Eine Nachtigall spreizte ihre Schwingen und erhob sich in den Himmel.

«Komm zurück!», brüllte er ihr nach.

Unter ihm bewegte sich etwas. Die toten Soldaten hatten begonnen, auf ihn zuzukriechen. Ihre blutigen Mienen starrten ihn unverwandt an, während sie mit eiserner Kraft nach ihm griffen. Er wollte sich wehren, aber ihre schiere Masse drückte ihn nieder. Klamme Finger tasteten nach seinem Hals - und drückten zu.

 

Er erwachte mit dem Gefühl zu ersticken. Der Versuch zu schreien verkümmerte zu einem heiseren Krächzen. Für einen Moment schnappte er nach Luft, doch dann löste sich der quälende Druck von seiner Kehle, und er konnte wieder frei atmen.

Heftig keuchend sah er sich um. Es war dunkel, und die Luft roch nach feuchtem Stein. Er spürte die Kälte des Bodens durch sein dünnes Gewand hindurch. Sein Gesicht brannte, als hätte er auf Brennnesseln geschlafen, und dort, wo seine Arme sein sollten, fühlte er nur das taube Echo von Schmerz.

Die Umrisse eines gemauerten Raums zeichneten sich im Dämmerlicht ab. Ihm gegenüber befand sich eine Tür mit einem Guckloch, der einzigen Lichtquelle.

Wo war er, und warum war er hier? Er versuchte, sich an irgendetwas zu erinnern, aber es fühlte sich an, als wäre sein Verstand von einem dichten Nebel durchdrungen.

«Wie heiß ich?», murmelte er verwirrt. Zumindest der Klang seiner Stimme war ihm vertraut. Er strengte sich an, wollte nach seinem Namen greifen, doch er schien ihm immer wieder zu entgleiten.

Er stieß ein verzweifeltes Knurren aus. Was war man denn, ohne Namen? Ein Niemand, nichts.

Ein seltsames Gefühl auf seiner Wange riss ihn aus seinen Gedanken. Als würde sich dort etwas bewegen ...

Er versuchte, sich ins Gesicht zu greifen, aber sein Arm wurde mit einem lauten Klirren zurückgerissen. Kaltes Metall glitt über die Haut auf seinem Hals. Er keuchte erschrocken auf.

Angekettet, wie in einer Kerkerzelle ... Deshalb fühlten sich seine Arme so taub an. Verzweifelt stemmte er sich gegen die Ketten, um sie aus der Verankerung zu reißen.

«Ist da jemand?», brüllte er aus Leibeskräften. Was, wenn man ihn an diesem Ort zurückgelassen hatte, damit er qualvoll verendete?

Mit einem Mal glaubte er, Stimmen hinter der Tür zu hören. Sofort hörte er auf zu toben.

«Viecherl ansaugen ... ans Ketterl ... Schwarze Galle ausdünsten.»

«Hallo!», brüllte er und schlug mit den Ketten gegen die Mauer, um sich bemerkbar zu machen.

Stille ... Hatte er sich die Stimmen vielleicht nur eingebildet?

Ein Schatten verdunkelte das Guckloch. Dann klickte es im Schloss, und die Tür schwang nach innen auf. Das hereinfallende Licht schmerzte in seinen Augen. Als er blinzelte, erkannte er den Umriss einer Gestalt in der Tür. Die Miene des Fremden blieb dunkel gegen das Licht, nur ein Monokel blitzte auf, als er ihm den Kopf entgegenneigte.

«Bitte, wer immer Ihr auch seid, helft mir!», hauchte er verzweifelt. Wieder fühlte er, wie sich etwas Glitschiges auf seiner Wange bewegte, und nicht nur dort, auf seiner Stirn, an seinem Hals ... als würden Nacktschnecken über seine Haut kriechen.

«Aber wir helfen dir doch, armer Junge», erwiderte der Monokelträger. Sein Umriss verriet edle Kleidung, ein Justaucorps und Kniebundhosen. Der Hauch eines Colognes