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Immergleiche WegeOverlay E-Book Reader

Immergleiche Wege

Erzählungen | Richard Russo

E-Book (EPUB)
2018 Dumont Buchverlag
Auflage: 1. Auflage
320 Seiten
ISBN: 978-3-8321-8996-9

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Kurztext / Annotation
»Diese Geschichten werden Ihr Herz brechen.« THE NEW YORK TIMES Den berüchtigten Eintritt in die »besten Lebensjahre« - die meisten Protagonisten der Erzählungen von Richard Russo haben ihn schon hinter sich. Die Menschen, die uns hier begegnen, haben in der Regel einen akademischen Hintergrund und sind durchaus gut situiert. Eines ist ihnen gemeinsam: Sie müssen sich langsam fragen, ob sie tatsächlich das Leben führen, das sie führen wollten. Da ist die aufstrebende Dozentin, die sich kurz vor Thanksgiving mit einem Plagiatsfall konfrontiert sieht und dabei ins Nachdenken über sich und ihre eigene Institutskarriere gerät. Oder der gescheiterte Englischprofessor, der sich in Venedig und seinen Zweifeln verliert. Ein Makler, der an Krebs erkrankt ist, und ein gealterter Drehbuchautor komplettieren das Quartett. Mit einem Augenzwinkern weist Richard Russo uns hin - auf die Schmerzpunkte ihrer Existenz. Er tut dies auf hintergründige, intelligente und humorvolle Weise. So entstehen Geschichten, bei denen wir Leser erst laut auflachen und dann trocken schlucken müssen, Geschichten, die von einer leisen Melancholie getragen sind - und doch etwas ungemein Lebensbejahendes haben. Vier lange Erzählungen von Pulitzer-Preisträger Richard Russo

RICHARD RUSSO, geboren 1949 in Johnstown, New York, studierte Philosophie und Creative Writing und lehrte an verschiedenen amerikanischen Universitäten. Für >Diese gottverdammten Träume< (DuMont 2016) erhielt er 2002 den Pulitzer-Preis. Bei DuMont erschienen außerdem >Diese alte Sehnsucht< (2010), >Ein grundzufriedener Mann< und >Ein Mann der Tat< (beide 2017), sowie der Erzählband >Immergleiche Wege< (2018), der SPIEGEL-Bestseller >Jenseits der Erwartungen< (2020) und zuletzt >Sh*tshow< (2020).

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Reitersmann

Wenn weder Mond noch Stern vom Himmel lacht,

es draußen stürmt und braust,

jagt Mal ums Mal aus finstrer Nacht

ein Reitersmann vorbei am Haus.

Obwohl es erst vier Uhr am Nachmittag war, dämmerte es draußen schon, und ein so heftiger Wind wehte, dass sich die Bäume auf dem College-Gelände zur Seite neigten und ein paar Äste über die Fensterscheibe von Janet Moores Büro schabten. Hatten die Turbulenzen da draußen den Reiter in ihr Bewusstsein galoppieren lassen, oder lag es an dem Schweigen des Studenten, der ihr missmutig gegenübersaß? Die Zeilen stammten aus einem Kindergedicht, jenem, das Robbie jeden Abend vor dem Schlafengehen Marcus, ihrem Sohn, vorlas, und sie verfolgten sie wie eine schaurige Kindheitserinnerung, obwohl sie das Gedicht erst vor ungefähr einem Jahrzehnt als Doktorandin zum ersten Mal gehört hatte. Die Strophen hielten sie noch lange, nachdem Robbie zu ihr ins Bett gekrochen und eingeschlafen war, wach - in finstrer Nacht -, und manchmal schreckte sie nachts auf, und die Verse geisterten ihr durch den Kopf. Waren sie ihr in einem Traum erschienen, der sich wie in einer Endlosschleife stets aufs Neue wiederholte? In letzter Zeit tauchte der Reiter auch tagsüber in ihren Gedanken auf. Als sie neulich im Wald hinter dem College joggte, war ihr bewusst geworden, dass sie im Rhythmus dieses ungebetenen, unerbittlichen jambischen Versmaßes lief - Wenn weder Mond noch Stern vom Himmel lacht -, als wäre sie selbst ein Pferd. Und dann schien es ihr mit einem Mal, als liefe sie nicht durch den Wald, sondern über einen endlosen Friedhof, und sie hatte ein vertrautes Ziehen in der Brust gespürt.

Eben noch war sie wütend gewesen und hatte sich dem Gefühl, im Recht zu sein, hingegeben - schlichte, unzweideutige Emotionen, auf die sie ein Anrecht zu haben glaubte. Es machte sie wütend, dass die Studenten in ihren Seminaren eher zum Betrügen neigten als in denen ihrer männlichen Kollegen oder dazu, zu spät zu kommen, offen ihre Autorität anzuzweifeln und ihr am Ende eines Semesters mittelmäßige Beurteilungen zu geben. Und, schlimmer noch, ihre überhöhte Erwartungshaltung an sie war ihnen gar nicht bewusst. Würde man die Studenten fragen, ob sie gegenüber weiblichen Professoren voreingenommen seien, würde keiner von ihnen mit Ja antworten. Ein Lügendetektor würde sie alle auffliegen lassen, so viel war sicher.

Und das schloss mit hoher Wahrscheinlichkeit James Cox ein, der ihr jetzt gegenübersaß, den einen Fuß (der unbesockt in einem Bootsschuh steckte) über das andere Bein (in khakifarbener Hose) geschlagen, noch immer mit selbstgefälliger Miene, wenngleich ihm allmählich dämmern musste, dass sie ihn überführt hatte. Er besah sich, oder tat zumindest so, die beiden getippten Seiten, die sie ihm gegeben hatte - die eine mit seinem Namen in der oberen rechten Ecke, die andere, die vier Jahre zuvor jemand anders abgegeben hatte -, mit gespieltem Erstaunen, als wäre die Ähnlichkeit zwischen den beiden Texten ein verdammter Zufall, in der Tat höchst erstaunlich, so als ob plötzlich Tausende Frösche von einem wolkenlosen Himmel purzeln würden.

Aus dem Zimmer nebenan hörte sie, wie Tony Hope, ihr bester Freund an der Fakultät, seine Bürotür hinter sich zufallen ließ. Sie hatte ihm vorhin von dem Plagiatsvorfall berichtet, mit dem sie es aktuell zu tun hatte, und er hatte ihr angeboten, ein bisschen vor ihrer Tür herumzulungern, nur für alle Fälle, wie er meinte. Neuerdings war kein Lehrer vor Anschuldigungen gefeit. Fühlten sie sich in die Enge getrieben, beschuldigten die Studentinnen bisweilen männliche Professoren, sie sexuell belästigt zu haben, und männliche Studenten konnten, wenn sie von weiblichen Dozenten in die Zange genommen wurden, ziemlich streitlustig werden. Aber James Cox war, nicht weiter verwunderlich, zu spät g