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Der Corona-Effekt - Zwischen Shutdown und Neubeginn: Was wir jetzt über uns lernen könnenOverlay E-Book Reader

Der Corona-Effekt - Zwischen Shutdown und Neubeginn: Was wir jetzt über uns lernen können

Zwischen Shutdown und Neubeginn: Was wir jetzt über uns lernen können | Christine Eichel

E-Book (EPUB)
2020 Harpercollins
Auflage: 1. Auflage
128 Seiten
ISBN: 978-3-7499-5038-6

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Kurztext / Annotation

NICHTS BLEIBT, WIE ES NIE WAR? - Bestsellerautorin Christine Eichel über Fragen, die uns derzeit alle bewegen

Die Corona-Pandemie hat uns einen Spiegel vorgehalten: Wer sind wir, wenn das öffentliche Leben stillsteht? Wie reagieren wir auf den kollektiven Stresstest? Während der Krise haben wir viel über uns gelernt. Unsere Bereitschaft zur Solidarität wuchs ebenso wie unsere Beziehungsfähigkeit unter Extrembedingungen. Doch wir erlebten auch das hässliche Gesicht der Krise: Hamstern, häusliche Gewalt, Verschwörungstheorien.

Kritisch, klug und humorvoll schildert Christine Eichel Erfahrungen, die wir alle gemacht haben, und stellt die entscheidende Frage: War die Corona-Krise ein überfälliger Weckruf für unsere Gesellschaft? Nach dem alptraumhaften Wachkoma des Shutdowns regt sich Sehnsucht nach einer neuen Stunde null. Sowohl unser Lebensstil als auch unsere Definition von Freiheit und Verantwortungsbewusstsein steht jetzt auf dem Prüfstand.

Nie schien ein umfassender gesellschaftlicher Wandel derart greifbar - ausgelöst durch eine Krise, die eine Sinnbeschaffungsmaßnahme für eine bessere Zukunft sein könnte.



Christine Eichel, Jahrgang 1959, hat in Hamburg Philosophie, Literatur- und Musikwissenschaft studiert und wurde mit einer Arbeit über die Musiktheorie von Theodor W. Adorno promoviert. Sie war Fernsehregisseurin, Moderatorin, Gastprofessorin der Universität der Künste Berlin und Lehrbeauftragte der Universität Hamburg. Von 2004 bis 2010 leitete sie zudem das Ressort »Salon« beim Magazin für politische Kultur »Cicero«. Ihre Sachbücher »Deutschland, deine Lehrer« und »Deutschland. Lutherland« erregten großes Aufsehen. Mit »Der empfindsame Titan« gelang ihr im Beethovenjahr ein weiterer Coup, der Titel hält sich seit Wochen auf der Bestsellerliste. Christine Eichel lebt als Autorin und Publizistin in Berlin und beobachtet mit interessiertem Staunen die derzeitigen Entwicklungen.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

1
GEFANGEN DAHEIM:
DIE UNFREIWILLIGE WIEDERENTDECKUNG DER PRIVATHEIT

Ende März 2020 entdeckte ich eine Karikatur auf Instagram. Kein Geringerer als Superman sitzt daheim im Sessel, gewohnt schneidig im engen blauen Trikot, allerdings ungewöhnlich entspannt. Neben ihm steht eine sichtlich erzürnte Frau und herrscht ihn an: »Tust du denn gar nichts, um das Coronavirus zu bekämpfen?« Superman, der eine Zeitung mit der »Stay home«-Schlagzeile in der Hand hält, erwidert lässig: »Das tue ich doch gerade.«

*

Die Zeichnung war ein Werk des indischen Illustrators Nithin Suren. Geteilt hatte sie Smriti Irani, Ministerin für Textilwirtschaft und Ex-Bildungsministerin Indiens. Mit dem augenzwinkernden Cartoon wollte sie ihre Landsleute ermahnen, den Lockdown zu befolgen. Auch die Polizei von Mumbai teilte den Cartoon, und nun war der Erfolg nicht mehr aufzuhalten. Das Bild des untätigen Superman ging viral - ein Begriff übrigens, der uns in Corona-Zeiten nicht mehr ganz so glatt über die Lippen geht, und die Botschaft wurde international verstanden: In diesen außergewöhnlichen Zeiten muss selbst Superman zu Hause rumsitzen, wenn er die Welt retten will. Also bleibt gefälligst daheim.

Es war ein smart erzählter Paradigmenwechsel. Unsere Vorstellung von Heldentum ist das mutige Eingreifen: Zivilcourage beweisen, sich aktiv für andere einsetzen, Kinder aus brennenden Häusern retten. Nun wurde Passivität zum Gebot der Stunde. Gleichwohl war die Rede davon, wir befänden uns im Krieg. Die Kampfmetapher klang einfach besser als das, was die meisten erlebten - die von der Regierung befohlene Desertation aus dem öffentlichen Leben in die schützende Hülle des Zuhauses. Eine passive Kriegsführung sozusagen, ohne Uniform, dafür im Jogginganzug; abwarten, stillhalten und nur vor die Tür gehen, wenn es wirklich notwendig ist.

Das war neu. Neben den vielen sichtbaren Helden, die weiterhin für andere da waren - Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte, Supermarktmitarbeiter -, gab es plötzlich Millionen unsichtbarer Helden. Ihr Heroismus bestand schlicht darin, in Pyjamas und Pullovern daheim auszuharren. Eigenartig wirkte das insofern, als auf einmal die Couchpotatoe zum Leitbild aufstieg. Der Stubenhocker, lange als spießig belächelt, weil er sich den Lustbarkeiten der Spaßgesellschaft da draußen verweigert, wurde notgedrungen zum neuen Ideal. So wie auch das Nichtstun, das in unserer Sprache immer ein bisschen nach Nichtsnutz klingt. Faulheit hat einen traditionell schlechten Ruf, zumal in Deutschland mit seinem hohen Arbeitsethos und der sprichwörtlichen teutonischen Tüchtigkeit. Fleiß und Selbstoptimierung waren oberstes Gebot - bis der Shutdown kam. Da war auf einmal Chillen erlaubt, nein, gefordert.

Immerhin, für notorisch umtriebige Naturen gewährten selbst die Einschränkungen des Shutdowns genügend Raum für Betätigungen aller Art. Sie misteten erst mal aus, was vor den Recyclinghöfen zu Staus mit stundenlangen Wartezeiten führte. Danach wurde renoviert, und nun bildeten sich die Schlangen vor den Baumärkten. Wenn das Zuhause schon zum Gefängnis wurde, dann wenigstens mit frisch gestrichenen Gitterstäben. Auch Balkon und Garten bedurften der Nestpflege, und da die Gartencenter geöffnet blieben, drängelten sich hier ebenfalls diejenigen, die es sich erst mal so richtig schön machen wollten. Das Marketing stimmte jedenfalls. »Zuhause ist, was Ihr daraus macht«, warb ein Baumarkt. Sehr sinnig.

Doch irgendwann waren alle Dachböden entrümpelt, alle Wände neu tapeziert, alle Stiefmütterchen gepflanzt. Daraufhin setzte das große Ausatmen ein. Einfach nur dasitzen - so wie es Loriot in seinem grandiosen Sketchklassiker parodiert hat. Eine ganze Nation fiel in den Dornröschenschlaf. Zwischen Kiel und Konstanz herrschte Friedhofsruhe, die Straßen leer gefegt, die Plätze verwaist, Theater, Kinos, Fußballstadien geschlossen. Es war ein nie da gewesenes Exp