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VatertageOverlay E-Book Reader

Vatertage

Roman | Stephan Bartels

E-Book (EPUB)
2018 Heyne
368 Seiten
ISBN: 978-3-641-20910-0

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Kurztext / Annotation
»Guten Tag, wir sind verwandt!«
Dass er einen Vater hat, wusste Simon eigentlich schon immer. Nur dass er selbst Michael Petersen niemals so genannt hätte: Vater. Wer es fertigbringt, in neununddreißig Jahren nicht ein einziges Wort mit seinem Sohn zu wechseln, ist bestenfalls ein Erzeuger. Deshalb ist Simon auch ziemlich verärgert, als er in einem offiziellen Schreiben aufgefordert wird, monatlich ? 697,69 Pflegebeteiligung für Herrn Petersen zu bezahlen. Simon fährt persönlich zum Amt, um Widerspruch einzulegen. Doch was er dort erfährt, stellt sein Leben vollends auf den Kopf. Anscheinend ist sein Vater nicht der einzige, der sich nie blicken ließ ...

Stephan Bartels, geboren 1967, freier Journalist, hat sich mit Texten für Stern, Die Zeit, Brigitte und Barbara einen Namen gemacht. Er ist Vater eines erwachsenen Sohnes und lebt in Hamburg.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

KAPITEL 1

Karla Kolumna

Simon Havlicek hatte mal irgendwo gelesen, dass ein Mensch im Laufe seines Lebens ungefähr vierhundertfünfzig Morddrohungen ausstößt. Das war ein Durchschnittswert, ermittelt von Soziologiestudenten der University of Wisconsin in Green Bay, Wisconsin, USA, aber selbst wenn man das lose nordamerikanische Verhältnis zum Gebrauch von Handfeuerwaffen sowie das handelsübliche Drohgebaren von Kiezgrößen und Mafiosi herausrechnete, dürften auch friedlichste Existenzen öfter mal dem ein oder anderen ein schattiges Plätzchen auf einem Friedhof wünschen. Das wusste Simon aus eigener Erfahrung.

Das hieß noch lange nicht, dass er jemals ernstlich ans mörderische Werk hätte gehen wollen, oh nein. Denn das wiederum erforderte Nerven und Skrupellosigkeit, zwei Dinge, über die er nicht gerade im Übermaß verfügte. Von seiner grundsätzlichen Achtung vor dem Leben an sich wollte er gar nicht erst anfangen. Und weit über neunundneunzig Prozent aller Menschen in der zivilisierten Welt schien es genauso zu gehen, sonst wäre die Mordrate in seiner näheren Umgebung nicht so erstaunlich überschaubar. Aber die Gedanken, so sagt man schließlich nicht ohne Grund, sind frei.

Man konnte ihm also nicht wirklich einen Vorwurf machen, dass er im Sinne des freiheitlichen Gedankenguts nicht besonders alarmiert war, als Jarmila am Telefon zu ihm sagte:

»Ich bringe ihn um.«

Dieser Satz seiner Mutter fiel am 23. April 2008. Das war zunächst in vielerlei Hinsicht ein stinknormaler Mittwoch im Leben des Simon Havlicek.

Er wachte davon auf, dass Anke die Haustür ins Schloss fallen ließ. Simon war für einen Moment desorientiert und sah sich um. Er lag auf dem dicken graubraunen IKEA-Teppich, der ein paar Quadratmeter der teuren Eichenholzdielen zwischen Sofa und Fernseher bedeckte. Lilly kniete ein gutes Stück neben ihm und stapelte bunte Bauklötze aufeinander, die Zunge konzentriert in Richtung ihrer Rotznase geschoben. Lea saß oben am Esstisch und malte etwas, Simon tippte auf Pferde, das war momentan der Renner bei ihr. Ihr kleiner bunter Kassettenrekorder stand vor ihr, gerade sang sie die Titelmelodie von »Bibi Blocksberg« mit, nach seiner Schätzung zum etwa vierzigsten Mal heute.

Er drehte den Kopf zur Verandatür. Da lag, mit geschlossenen Augen, Zottel, ein Mischlingshund, mit dem Simon schon zusammen gewesen war, bevor er an ein gemeinsames Leben mit Anke und Kindern auch nur einen Gedanken verschwendet hatte.

Er seufzte.

War mal wieder ein langer Tag gewesen mit den Mädchen. Er hatte Lea gegen elf aus der Kita abholen müssen, sie hatte angeblich Bauchweh. Davon war seltsamerweise nicht mehr die Rede, sobald sie in ihrem Kindersitz auf der Rückbank des Zafira Platz genommen hatte. Stattdessen hatte sie in ihrer plapperigen frisch erworbenen Fünfjährigkeit darüber geschimpft, wie bescheuert Rebecca und Greta waren, weil die immer mit ihrer Baby-Born-Puppe ...

Alles klar, Entwarnung, bloß der tägliche Minizickenterror, hatte Simon gedacht, froh, dass er ihr nicht ernsthaft mit Fencheltee und Zwieback würde kommen müssen. Dann hatte er abgeschaltet und immer mal wieder Sachen wie »nein, wirklich?« und »die sind ja blöd!« nach hinten gerufen, das musste an väterlicher Aufmerksamkeit für den Moment reichen, waren eh immer dieselben Themen, und das waren definitiv nicht seine. Und Lilly war ja auch noch als Ansprechpartnerin für Lea da. Außerdem musste er sich darauf konzentrieren, die Augen offen zu halten und nicht in den Gegenverkehr zu schlingern.

Er war saumüde. Und hatte gehofft, später, während Lillys Mittagsschlaf, Lea vor den Fernseher setzen und selbst ein paar Minuten Augenpflege betreiben zu können, die Nacht war kurz gewesen, wie immer, so ist das mit Kindern von knapp über eineinhalb. Wenigstens halten normale Kinder zur Entschädigung Mittagsschlaf.

Lilly aber war in dieser Hinsicht nicht normal. Sie hatte ihn nur ausgelacht