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Rechtswalzer

Kriminalroman | Franzobel

E-Book (EPUB)
2019 Paul Zsolnay Verlag
416 Seiten
ISBN: 978-3-552-05938-2

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€ 11,99

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Kurztext / Annotation
Der erfolgreiche Getränkehändler und Barbesitzer Malte Dinger ist ein Glückspilz. Als er jedoch unverschuldet in die Fänge der Justiz gerät, steht plötzlich seine ganze Existenz auf dem Spiel. Für den Balkan-Casanova Branko ist das Leben da schon vorbei. Vieles deutet darauf hin, dass er das Opfer abseitiger sexueller Praktiken geworden ist, doch Kommissar Groschen glaubt nicht recht daran. Das Verhältnis Brankos zu der lustig gewordenen Witwe des Bautycoons Hauenstein bringt dann die Machenschaften der neuen rechtsnationalen Regierung ans Licht, die den bevorstehenden Opernball als Propagandaspektakel inszenieren will. Franzobels neuer Krimi spielt in der Zukunft, ist aber brandaktuell.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Schwarzer Freitag

Dinger wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass Worte einen Geschmack besäßen, aber dieses »Fahrscheinkontrolle« schmeckte nach Rostblumen und brackigem Regenwasser. Lässig holte er seine Brieftasche hervor, um die Monatskarte der Wiener Linien herauszufischen. Er öffnete das Portemonnaie, griff nach dem Fahrschein ... Nichts! Da waren ein Hundert-Euro-Schein, die zerfledderte Kopie seines Reisepasses, eine Gutschrift der Österreichischen Bundesbahnen, Bankomatkarte, diverse Ausweise ... aber keine Monatskarte! Dinger spürte, wie sein Herz drei Gänge hinaufschaltete, seine Schweißdrüsen zu arbeiten begannen. Elvira! Seine Frau hatte sich gestern die Karte ausgeborgt und augenscheinlich vergessen, sie zurückzugeben.

Das Malte-Dinger-Universum schrumpfte auf diese Monatskarte zusammen. Er musste so verzweifelt dreingesehen haben, dass die Kontrolleure - jenes blondierte Duo mit der schlammgrünen Anglerkleidung - sofort und mit dem geschulten Blick Hunderttausender Überprüfungen den Schwarzfahrer erkannten.

- Was ist? Extraeinladung? Der Mann verschränkte die Arme, hob das Kinn und sah aus wie ein aus der Form geratener Schlagersänger, der sein Publikum fragte, ob er die Konzerthalle gleich oder erst bei der Zugabe in die Luft jagen solle.

Dinger brachte kein Wort heraus.

- Ein irdenes Gefäß schwebt über unseren Häuptern.

- Bitte?

- An Scherben haben mir auf!

- Ich ... einen was?

- Einen Potschamper.

- Nachttopf, ergänzte die Blondierte.

- Keine Tanz. Kommen S', sagte der aufgepumpte Mensch mit sanfter Stimme in breitem Wienerisch. Auf dem Ausweis, der um seinen Hals baumelte, konnte Malte den Namen Walter Hirm lesen.

- Ich ... das heißt ... bitte ... Dinger rang um Worte, überlegte, ob er einen Ausländer spielen sollte, der nicht verstand, zu spät! Er wollte lächeln und sagen, dass er mit fremden Menschen nicht mitgehen dürfe, brachte aber nur unzusammenhängende Satzfetzen zustande, immer dieses Sich-klein-Fühlen vor Autoritätspersonen, und stieg, »Kommen S'«, mit den beiden Bratwürsten aus.

Die Station Rathaus, diesmal graue Schinkenwürfel, war fast menschenleer, nur ein Straßenmusiker lehnte an einer vertäfelten Säule und sang »Hey Jude«.

- Kein Fahrschein ... Macht hundertdrei Euro, raspelte die Dame mit Reibeisenstimme. Auf ihrem Ausweis stand Brigitte Cicivarek. Hirm und Cicivarek ... hört sich nach dem Refrain eines tschechischen Kinderliedes an.

- Ich besitze eine Monatskarte, es ist nur so, meine Frau, Elvira ... ich weiß nicht, wieso ... Frauen! ... Ständig verlegt sie Schlüssel, die Brieftasche, ihre Handtasche gleicht dem Bermudadreieck ...

- Was glauben Sie, wie viele Ausreden wir täglich hören.

- Und wissen Sie, was wir davon halten? Notorische Schwarzfahrer, die sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichern. Volksschädlinge!

- Aber ... ich. Es stimmt wirklich. Volksschädling ist ein Naziwort, aber sag jetzt nichts. Seit die neue Regierung im Amt ist, sind solche Ausdrücke wieder salonfähig, allerdings nur in Bezug auf Moslems. Ständig ist davon die Rede, dass Christen und Juden im Koran als »Brennstoff des Höllenfeuers« gelten, »Dar as-Salam«, das Haus des Friedens für Moslems, erst erreicht wird, wenn die ganze Welt an den Islam glaubt. Ständig heißt es, der Koran sei Mohammeds »Mein Kampf«, Muslime besäßen die Lizenz zum Lügen, wenn es der Verbreitung d