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Scherbengericht

Commissario Laurenti vergeht der Appetit | Veit Heinichen

E-Book (EPUB)
2017 Piper Verlag
352 Seiten
ISBN: 978-3-492-97761-6

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Kurztext / Annotation
Zwölf Zeugen sagten damals gegen Aristèides Albanese aus. Siebzehn Jahre saß er wegen Totschlags im Gefängnis. Nun ist er draußen und will sich an ihnen allen rächen. Und zwar auf ganz besondere Weise - denn Aristèides ist Koch und plant, jedem von ihnen die Henkersmahlzeit selbst zuzubereiten. Commissario Proteo Laurenti war zwar nie überzeugt von den Aussagen der zwölf, doch seinerzeit setzte er sich wider besseren Wissens nicht gegen den Staatsanwalt durch, der wie besessen schien von dem Fall. Bis heute bereut Laurenti, ihm nicht die Stirn geboten zu haben. Doch gerade, als Aristèides wieder auf freiem Fuß ist, gibt es eine weitere Leiche, und wieder gehört er zu den Verdächtigen. Wie schon vor siebzehn Jahren ermittelt Laurenti - und versucht fieberhaft, das fehlende Glied zwischen den Fällen zu finden.

Veit Heinichen, geboren 1957, lebt seit über fünfundzwanzig Jahren in Triest. Seine Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und erfolgreich verfilmt. Ausgezeichnet u.a. mit dem Radio Bremen Krimipreis und dem Premio Internazionale Trieste, gilt Veit Heinichen nicht nur als glänzender Autor, sondern auch als »großartiger Vermittler italienischer Lebensart« (FAZ).

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Das Ende der Verbannung

Athos fand sie erst nach langer Suche. Mit dem Bus war er vom Zentrum zu dem grauen Wohnklotz am Stadtrand hochgefahren und hatte sich kurz nach elf unschlüssig für einen der abweisenden Eingangstürme entschieden. Wilde Sprayer hatten die grauen Stahlbetonwände mit unverständlichen Symbolen dekoriert. Als man ihn damals verhaftete, waren Schmierereien an den Hauswänden in Triest noch selten gewesen. Zaghaft stieg er das zugige Treppenhaus hinauf, bis er schließlich mit dem Fuß die breite Glastür zu einem endlosen Flur mit schwarzem Kunststoffboden und schwacher Beleuchtung aufstieß. Kein Mensch außer ihm war hier unterwegs. Die einsame Leuchtreklame einer Apotheke war der einzige Kontrast in der ansonsten anonymen Umgebung. Wer eintreten, Medikamente kaufen wollte, musste klingeln, stand an der Tür. Nach der ersten Ecke kam er sogar an einem karg eingerichteten Postamt vorbei, das an diesem Morgen geöffnet hatte. Nur die Werke der Sprayer brachten etwas Abwechslung in die Tristesse, wobei sie in diesen Korridoren offiziell angebracht worden sein mussten: Es waren sorgsam gestaltete Bilder mit ironischen Kommentaren, die karikaturengleich die kalte Betonarchitektur und ihre Bewohner illustrierten. Die Flure im Zellentrakt des Gefängnisses, in dem er die letzten siebzehn Jahre eingesessen hatte, waren ebenso karg gewesen, dafür sauberer und besser ausgeleuchtet. Aristèides Albanese erinnerte sich nicht mehr, an welchem der verschlossenen Treppenhäuser zu den oberen Etagen er nach dem Klingelschild suchen musste. Über zweieinhalbtausend Menschen wohnten hier, und erst am siebten Eingang fand er den kaum noch lesbaren Namen: Melissa Fabiani. Er hatte vergebens geläutet, sich schließlich die Appartmentnummer eingeprägt, war am Übergang zum angehängten zweiten, nicht weniger labyrinthischen Gebäudekomplex vorübergegangen. Im nächsten Flur standen schlecht gekleidete Frauen rauchend vor dem Schild einer Bar, wo auch Tabakwaren und Zeitungen verkauft wurden. Neben dem Eingang warb ein Streifenplakat mit der Schlagzeile der lokalen Tageszeitung: Tonino Gasparri freigesprochen. Tatbestand der Korruption verjährt.

Aristèides schob angewidert die Zeitung mit dem Foto des Politikers vom Tresen und bestellte. Die grauen Schlieren auf den kreisrunden Fenstern verschleierten den Blick auf den fernen Hafen, die Öltanker und Containerschiffe unten in der Stadt. Es beruhigte ihn, dass die Gläser und Kaffeetassen aus der Spülmaschine kamen.

Tante Milli saß an einem Tisch und war ins Kartenspiel mit anderen Greisen vertieft, vermutlich die einzige Abwechslung, der sie täglich folgte. Trotz ihrer Sauerstoffmaske und des Apparats, der auf Rollen neben ihrem Stuhl stand, erkannte er sie sofort. Sie schenkte dem bärtigen und langhaarigen Riesen, der sie vom Tresen aus fixierte, keine Beachtung. Athos war von ihrem Anblick erschüttert. In ihren Briefen, die ihn Woche für Woche in der Haftanstalt erreichten, hatte sie sich nie über ihre Gesundheit beklagt. Als sie die letzte Karte ausgespielt hatte, bezahlte er seinen Espresso und trat endlich an ihren Tisch.

»Tante Milli«, sagte er.

Die Alte schaute zögernd zu ihm auf, und erst als er seinen Namen nannte, erhellten sich ihre Züge. Melissa nahm die Atemmaske ab. Wie früher, als sie gut im Geschäft gewesen war und die Freier Schlange gestanden hatten, waren ihre Lippen grell geschminkt. Und trotz ihrer Gebrechlichkeit lackierte sie sich noch immer die Nägel. Entschieden drückte sie sich aus ihrem Stuhl und umarmte ihn, so fest sie konnte. Ihre Arme reichten ihm kaum auf den Rücken.

»Kiki? Bist du das wirklich? Vor lauter Haaren sieht man dein Gesicht nicht.« Sie strahlte, ihre Augen blitzten fröhlich, die Lachfalten durchzogen ihr Gesicht, dann verbarg sie es an seiner Brust und hielt sich am Revers seines elfenbeinfarbenen Jacketts fest. »Seit wann bist du draußen? Warum hast du mir nicht geschrieben?«

»