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Schicksalsjahre. Die Frauen vom Neumarkt

Roman | Ein emotionales Epos rund um die Frauenkirche von 1938-2005 | Julie Heiland

E-Book (EPUB)
2024 Ullstein
Auflage: 1. Auflage
576 Seiten
ISBN: 978-3-8437-3168-3

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Kurztext / Annotation
Eine Stadt, die in Trümmern liegt. Eine Liebe, die Hoffnung schenkt. Eine Vergangenheit, die alles überschattet. Dresden ist vollkommen zerstört. Die junge Lotte gehört zu den Frauen, die die Stadt mit bloßen Händen wieder aufbauen. So sehr sich Lotte nach einem Neuanfang sehnt, so verzweifelt ist sie auf der Suche nach ihrem Geliebten. Als sie eines Abends einen jungen Mann vor dem Tod bewahrt, kehrt ihre Zuversicht zurück: Jakob weckt in ihr Gefühle, die sie verloren geglaubt hatte. Doch das Schicksal greift auch nach dieser Liebe, und erst Jahrzehnte später wird Lottes Enkelin Hannah die Wahrheit über ihre tragische Familiengeschichte erfahren...

Julie Heiland wurde 1991 geboren. Sie hat Journalistik studiert und eine Rhetorik- und Schauspielausbildung gemacht. Sie lebt in der Nähe von München.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Prolog

1939

Lotte

»Wenn du mich so ansiehst, kann ich mich nicht konzentrieren«, sagte Leo.

Sie spitzte verschmitzt die Lippen. Genau das hatte sie beabsichtigt. Dabei war es für sie, die erst vor ein paar Tagen siebzehn geworden war, noch eine neue, schwindelerregende Erfahrung, einem Mann derart hemmungslos und ohne jede Verlegenheit in die Augen zu sehen. »Ich liege hier jetzt auch lange genug herum und versuche, mich so wenig wie möglich zu bewegen.«

Sie lag auf den makellos weißen, frisch geplätteten Laken von Leos Himmelbett, eine Hand über den Kopf gelegt, und trug nichts bis auf ein roséfarbenes Unterteil und feine Strümpfe. Es überraschte sie, wie mutig sie war, so freizügig hatte sie sich ihm noch nie gezeigt, aber bei ihm fühlte sie sich nicht nackt.

Leo hatte sie gefragt, ob er sie zeichnen dürfe. »Ich habe Angst, dass ich dich bald nicht mehr sehen oder auch nur ein Wort mit dir wechseln darf.« Sein Blick war über ihr Gesicht gewandert, als würde er sich jedes kleine Detail einprägen wollen: die vollen Lippen, ihre Alabasterhaut und die hellblauen Augen, die im Kontrast zu ihrem dunkelbraunen Haar mit den rötlichen Strähnen darin standen.»Wenn das der Fall ist, werde ich Dresden verlassen, und dann möchte ich wenigstens ein Bild von dir bei mir haben. Eines, durch dessen Anblick mir in kalten Nächten warm ums Herz wird.«

Für gewöhnlich lag ein schiefes Lächeln auf seinen Lippen, das sie jedes Mal ein wenig aus dem Gleichgewicht brachte. Doch nun war er so ernst, dass Gänsehaut ihre Unterarme überzog.

»Glaubst du wirklich, dass es so weit kommt?«

»Ja, das tue ich. Die Liste der Verbote ist inzwischen ziemlich lang. Wir Juden dürfen nicht mehr in allen Berufen arbeiten, dürfen nicht mehr ins Theater, ins Kino oder Museum gehen oder dürfen uns nur auf gekennzeichnete Parkbänke setzen, die meist vermüllt sind.« Er nahm ihre Hand und strich mit dem Daumen zärtlich über ihre Knöchel. »Und es ist uns verboten, einen Menschen zu heiraten, der nicht jüdisch ist, egal wie sehr wir diesen Menschen lieben. Von Tag zu Tag kommen mehr Verbote hinzu, die allein den Zweck verfolgen, uns immer weiter aus der Gesellschaft auszuschließen.«

Leo saß auf einem Stuhl neben dem Bett und konzentrierte sich wieder auf die Zeichnung. Eine Locke fiel ihm ins Gesicht, als er zu ihr aufsah, so lange, bis sie leicht errötete. Sie war es nicht gewohnt, dass man ihr so viel Aufmerksamkeit schenkte. Eigentlich studierte Leo Musik und arbeitete nebenbei als Violinist an der Semperoper, aber er war künstlerisch in vielerlei Hinsicht begabt. Und er probierte gerne Neues aus.

»Genug gezeichnet«, sagte sie, richtete sich auf und nahm ihm den Skizzenblock aus der Hand. »Zeig mal her.«

Sie betrachtete die junge Frau, die sie mit wachem Blick von dem Blatt aus ansah. Sie hatte etwas Nymphenhaftes an sich, wirkte so selbstbewusst, so sinnlich. So schön. War das wirklich sie? Für gewöhnlich versuchte sie, so wenig wie möglich aufzufallen, aber Leo hatte sie trotzdem wahrgenommen. Damals, als sie sich letzten Sommer in das Café am Neumarkt gesetzt und einen Krug mit erfrischendem Rhabarbersaft sowie ein Stück Eierschecke bestellt hatte, nur um seiner Interpretation des beschwingten Allegro Aperto von Mozart zu lauschen. Er hatte vor der Frauenkirche gestanden, vor ihm eine Mütze mit ein paar Münzen darin. Die Luft hatte vor Hitze an diesem Tag geflirrt. Es war nicht nur eine Melodie gewesen, die sie gehört hatte, es waren Gefühle gewesen, die in sie hineinströmten und ihre Seele aufwühlten wie Wind die See. Sie war so ergriffen gewesen, dass sie völlig die Zeit vergessen hatte. Später, als sie gezahlt hatte und nach Hause aufgebrochen war, hatte er sie eingeholt und einfach nur angelächelt und nicht geahnt, dass sie gerade von einem Erdbeben erschüttert worden war. Das war der Beginn von etwas gewesen, was sie bis heute nicht